Der Journalismus steckt tief im Wandel. Das alte Geschäftsmodell der gedruckten Zeitung hat sich überlebt, das neue, Journalismus im digitalen Raum, funktioniert noch nicht. Klar ist nur eins: Allein journalistische Qualität hat eine Perspektive. Zehn Buchempfehlungen für meine Kollegen:
Anton Hunger „Blattkritik – Vom Glanz und Elend der Journaille“, 245 Seiten, 19,50 € (Klöpfer & Meyer);
Andreas Eickelkamp „Der Nutzwert-Journalismus“ (Herbert von Halem);
Uwe Krüger „Meinungsmacht“ (Herbert von Halem);
Markus Lause/Peter Wippermann „Leben im Schwarm – Die Spielregeln der Netzwerkökonomie“ (Red Indians Publishing);
Peter Kemper/Alf Mentzer/Julika Tillmans (Hrsg.) „Wirklichkeit 2.0“ (Reclam);
Paul-Josef Raue „Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt“ (Klartext);
Margreth Lünenborg/Katharina Fritsche/Annika Bach „Migrantinnen in den Medien“ (Transcript);
Horst Pöttker/Anke Vehmeier (Hrsg.) „Das verkannte Ressort – Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus“ (Springer VS);
Michael Schröder (Hrsg.) „Die Web-Revolution – Das Internet verändert Politik und Medien“ (Olzog);
Markus Kaiser (Hrsg.) „Innovation in den Medien – Crossmedia, Storywelten, Change Management“ (Dr. Gabriele Hoofacker).
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Anton Hunger „Blattkritik – Vom Glanz und Elend der Journaille„, 245 Seiten, 19,50 €, Klöpfer & Meyer, ISBN: 978-3863510596;
Journalisten-Bashing ist gerade in: Der Wulff-Skandal, der sich – rechtlich – als Lappalie herausstellte, eine Wirtschaftsberichterstattung, die die EU-Schuldenkrise nicht kommen sah, und und und – Anton Hunger, Ex-Porschesprecher, Ex-Journalist und Kolumnist des Branchenhefts „Medium Magazin“, hat sich gut munitioniert, um der Journaille – übrigens ein Schmähwort – mal so richtig die Leviten zu lesen.
Er wettert über Presserabatte (wie hat er wohl als Pressesprecher Journalisten behandelt?), über falsche Abrechnungen beim Netzwerk-Recherche und immer wieder über die Methoden der Bild-Zeitung. Er lamentiert über mangelnde Objektivität und über Manipulation durch Journalisten.
Alles richtig, aber was will uns Anton Hunger damit sagen: Dass Journalisten Fehler machen, dass sie sich gerade auf dem Boulevard immer wieder jenseits des Anstands bewegen – geschenkt all dies. Keines der Beispiele für Fehlverhalten, die der 64-Jährige in flockigem Ton nacherzählt, ist falsch (oder unbekannt). Und trotzdem bringt uns diese „Blattkritik“ nicht weiter.
Weil sie über das bloße Anprangern nicht hinausgeht, weil sie nicht die Zustände in Redaktionen beschreibt, die ökonomischen Verhältnisse, den Druck, der auf Journalisten ausgeübt wird – von allen Seiten, auch aus Hungers Branche. Für jemanden, der seine Vorurteile über Journalisten befriedigt sehen will, ist das ein lesenswertes Buch, für kritikfähige Journalisten völlig überflüssig.
Bewertung: ***
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Andreas Eickelkamp „Der Nutzwert-Journalismus“, 487 Seiten, 32 €, Herbert von Halem, ISBN: 978-3869620398;
Nutzwert ist seit Jahren so ein Zauberwort in den Redaktionen. Nutzwertig soll ein Artikel sein, und wenn er es nicht ist, soll der Nutzwert dazu geliefert werden, in Form eines Infokastens zum Beispiel. Andreas Eickelkamp hat sich in seiner Promotion an der Universität Leipzig wissenschaftlich und umfassend diesem Thema gewidmet.
Das geht los mit der Definition. Was ist Nutzwertjournalismus eigentlich? “Notwendiges Kriterium für diesen journalistischen Bereich ist, dass die dominierende Kommunikationsabsicht darin besteht, den Rezipienten in einer von ihm als nützlich empfundenen Weise im praktischen Alltag zu unterstützen”, schreibt Eickelkamp. Aber geht es hier wirklich um eine eigenständige Form des Journalismus, oder ist nicht all das irgendwie nutzwertig, das dem Leser nutzt?
Früher spracht man von einer Ratgeber-Funktion? Heute ist es normal, das Zeitungen Untersuchungen der Stiftung Warentest wiedergeben oder einen dpa-Text über das neueste Apple-Gerät.
In der über 400 Seiten starken Arbeit geht es um „Einflussgrößen“, um den „theoretischen Kontext“, um „Rahmenbedingungen“. Ja, richtig, für praktisch arbeitende Journalisten ist dieses Buch nicht interessant, wohl aber für Medientheoretiker. Es ist auch erfreulich lesbar geschrieben.
Bewertung: ****
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Uwe Krüger „Meinungsmacht“, 320 Seiten, 29,50 €, Herbert von Halem, ISBN: 978-3869620701;
Und noch eine Dissertation und noch dazu an der Universität Leipzig, dessen Medienstudiengang unter dem inzwischen emeritrierten Prof. Michael Haller eine Art journalistischer Brainpool geworden ist. Uwe Krüger hat sich mit dem Thema Macht und Manipulation auseinander gesetzt und dazu ein paar Große des politischen Journalismus auf die Hörner genommen.
Seine zentrale Forschung befasst sich mit Klaus Frankenberger (FAZ), Stephan Kornelius (SZ), Josef Joffe (Die Zeit) und Michael Stürmer (Die Welt). Krüger dröselt deren (politisch-journalistische) Netzwerke auf und stellt sie in Beziehung zu deren Haltung. Spannend liest sich das, erhellend auch, und irgendwie kommt der Gedanke auf: „Das habe ich mir doch schon immer so gedacht.“
Dabei bleibt es aber auch, denn Krüger kann seine Thesen nicht beweisen. Er bekommt sie nicht bestätigt. Denn warum soll ein Journalist nicht aus seiner politischen Haltung heraus bestimmten Zirkeln angehören (statt umgekehrt)? Nicht alles ist Manipulation, was danach riecht.
So war für mich der eigentliche Wert des Buches ein anderer, einer der nicht auf dem Titel steht. Es geht um die Auseinandersetzungen mit dem unmöglichen Anspruch Objektivität. Ein Wert, den es in der Form nicht gibt, den sich aber alle möglichen Leute auf ihre Fahnen schreiben.
Und dass hier versucht wird, ein paar Alpha-Journalisten auf den Zahn zu fühlen, ist ja auch nicht das schechteste.
Bewretung: ****
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Markus Lause/Peter Wippermann „Leben im Schwarm – Die Spielregeln der Netzwerkökonomie“, 256 Seiten, 28 €, Red Indians Publisching, ISBN: 978-3943776003;
Das Buch ist knapp zwei Jahre alt und schon nur noch als Download erhältlich (außer vielleicht in Antiquariaten). Besser lässt sich das Tempo des Zeitenwechsels gar nicht beschreiben. „Leben im Schwarm“ ist auch kein Journalisten-Buch, sondern eines, das den technologischen Wandel und dessen Folgen thematisiert.
Das Modewort Schwarm muss mal wieder herhalten. Als ob Schwarm gleich Intelligenz ist, die Kommentarleisten von Nachrichten-Websites zeigen genau das Gegenteil. Und so richtig viel Neues findet der halbgebildete Netznutzer leider auch nicht in dem Werk. Dass wir auf dem Weg sind, Hightech-Nomaden zu werden, deren Werte Mobilität, Flexibiltät und Dynamik heißen, ist bekannt, die Allgegenwart des Internets ebenso.
Journalisten ist dieses Buch trotzdem zu empfehlen, vor allem solchen, die noch immer behaupten, sie würden wegen des „Datenschutzes“ nicht Facebook beitreten, und die hier nun belegt bekommen, welche Macht soziale Netzwerke entwickeln und dass es gerade für die Kommunikationsbranche keine Chance gibt, sie zu ignorieren. Auch nicht für den einzelnen Journalisten.
Bewertung: ****
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Peter Kemper/Alf Mentzer/Julika Tillmans (Hrsg.) „Wirklichkeit 2.0“, 300 Seiten, Reclam, 9,95 €, ISBN: 978-3150202661 (broschiert);
Anders als das „Leben im Schwarm“ geht es in diesem Kompendium um die Realität im digitalen Zeitalter. Grundlage ist ein Kurs, der der Hessische Rundfunk angeboten hatte. Thema sind die Wirkungen auf unser aller Leben, wie aus dem Nachschlage-Netz ein Mitmach-Netz wurde.
Die Entwicklung wird durchaus kritisch diskutiert, von namhaften Autoren. Miriam Meckel gehört dazu, Nichola Carr, Kathrin Passig und Christian Stöcker, aber auch Jeff Jarvis, Jaron Lavier und der zurzeit intensiv diskutierte weißrussische Web-Philosoph Evgeny Morzorov.
Eine gute Sammlung.
Bewertung: ****
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Paul-Josef Raue „Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt“, 164 Seiten, 13,95 €, Klartext, ISBN: 978-3837510379;
Dieses Buch ist mir eine Freude. Hans Hoffmeister, ein Westfale, der mehr als 20 Jahre als Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung in Weimar tätig war, erzählt aus seinem Leben. Die Fragen dazu stellt ihm sein ein paar Jahre jüngerer Kollege Paul-Josef Raue, Chefredakteur der in Erfurt erscheinenden Thüringer Allgemeine.
Das Cover zeigt zwei seriöse ältere Herren an einem Gartentisch, einen Krug Wasser neben sich. Einer gestikuliert, einer hört aufmerksam zu, und beide tragen altmodische Sonnenbrillen. So wird es gelaufen sein, das fünfstündige Interview, das abgetippt, gestrafft, autorisiert wurde, bevor es in das Buch passte.
Faszinierend, was Hoffmeister alles erzählt aus der Wendezeit, wie er es schaffte, in einer sehr hemdsärmeligen Art für Klarheit zu sorgen, und die ostdeutschen Kollegen mit ihrer Geschichte zu akzeptieren aber auch zu motivieren, sich neu zu erfinden. Viel kommt rüber von der Goldgräberstimmung der Verlage (Der frühere Westfalenblatt-Mann Hoffmeister arbeitete zuletzt wie auch Raue für die WAZ-, heute Funke-Gruppe), von enttäuschten Hoffnungen und den Erwartungen an Demokratie.
„Wir haben nicht über die Wende berichtet. Wir haben sie gemacht“, ist einer der zentralen Sätze Hoffmeisters, der sich großen Respekt verschafft hat, weil er bei harter Kritik meistens Fairness achtete und sich nie mit den Mächtigen gemein machte, wohl aber mit seinen (lokalen) Lesern.
Vieles, was Hoffmeister erzählt, hätte auch von Raue stammen können, dessen Ost-Anfänge wie die von Hoffmeister in Eisenach stattfanden, unmittelbar nach Grenzöffnung. Raue aber hält sich wohltuend zurück, lässt den anderen erzählen, bestärkt ihn. Ein Geschichtsbuch im besten Sinne.
Bewertung: *****
P.S.: So sympathisch mir Herr Hoffmeister ist mit seinem Einsatz für die Menschen in Thüringen, so irritierend ist seine Eitelkeit. Aber vielleicht bin ich da auch nur zu jung …
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Margreth Lünenborg/Katharina Fritsche/Annika Bach „Migrantinnen in den Medien“, 178 Seiten, 19,80 €, Transcript, ISBN: 978-3837617306;
Migranten und (deutsche) Medien, das ist an sich schon ein schwieriges Thema, jetzt aber auch noch Migrantinnen und Medien – da prallen offenbar zwei Welten aufeinander. Zu diesem Schluss sind in ihrer Untersuchung auch die drei Berliner Medienwissenschaftlerinnen Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach gekommen.
Denn Frauen mit Migrationshintergrund kommen in den Medien, gerade in den überregionalen, vielfach als Opfer vor, selten als selbstbestimmte Menschen. Da geht es dann in der „Berichterstattung“ um misslungene Integration, schlechte Deutschkenntnisse, fehlende Bildung und Unterdrückung durch Religion und autoritäre Männer und Väter. Dazu wurden zwei Regional- und vier überregionale Zeitungen untersucht.
Die Forscherinnen sprechen auch die Gefahren an, die aus dieser klischeebehafteten Berichterstattung folgen, rechte Ressentiments gegen Zuwanderer werden so gefestigt. Ein weiteres Problem sind die Redaktionen selber, weil dort viel zu wenige Migrant(inn)en arbeiten. Und wenn, dann werden sie auf Integrationsthemen reduziert.
Wichtige Fragestellungen werden in der Untersuchung angesprochen. Auch wenn inzwischen (die empirischen Daten stammen aus der Zeit von 2005 bis 2008) die Sensibilität in den Redaktionen für das Thema wächst, hier werden bis heute viele Chancen vergeben. Schön, dass die Autorinnen lokale Medien loben, als die, die am offensten mit Menschen mit Migrationshintergrund umgehen.
Bewertung: ****
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Horst Pöttker/Anke Vehmeier (Hrsg.) „Das verkannte Ressort – Probleme und Perspektiven des Lokaljournalismus“, 288 Seiten, 39,99 €, Springer VS, ISBN: 978-3658011383;
Verkanntes Ressort, die Lokalredaktionen? Der Titel geht ein wenig an der Realität vorbei. Vor acht, zehn Jahren wäre er noch richtig gewesen, heute wissen Verleger und selbst Chefredakteure, dass lediglich konsequente Lokalberichterstattung für 90 Prozent der Verlage als journalistisches Zukunftsmodell taugt.
Aber das ist die einzige Ungenauigkeit, die sich dieses Buch leistet. Es gibt einen guten Überblick über die Situation des Lokaljournalismus‘, über die steigenden Anforderungen, aber auch über die Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen.
Ausgangspunkt ist ein gerade auf Eis liegendes Projekt in NRW, wo die Staatsregierung in Zusammenarbeit mit der Uni Dortmund die „Initiative Lokaljournalismus“ ins Leben rief. Erfahrene Praktiker boten Fortbildungen an, für Redakteure, aber für vor allem für das wachsende Heere der freien Mitarbeiter.
Die beiden Herausgeber des Sammelbands waren Mit-Initiatoren von Inlok und haben mit diesem Buch den Stand der Lokaljournalismus-Forschung kombiniert mit ganz praxisbezogenen Aufsätzen etwa von Anke Vehmaier (zur Personalentwicklung), WAZ-Investigativreporter David Schraven zur Bedeutung von Recherche oder Presserechtler Kurt Braun über die speziellen juristischen Fallstricke der lokalen Berichterstattung.
Für alle, die sich einen Überblick verschaffen wollen, für den journalistischen Nachwuchs, für Redaktionsleiter, Kommunalpolitiker, Verwaltungsleute und an Journalismus interessierte eine gute Darstellung des Status Quo.
Bewretung: ****
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Michael Schröder (Hrsg.) „Die Web-Revolution – Das Internet verändert Politik und Medien“, 224 Seiten, 26,90 €, Olzog, ISBN: 978-3789282157;
Michael Schröder hat den Wandel des Jouranlismus hautnah miterlebt. Obwohl, nein hautnah nicht, immer aus der Beobachterperspektive als Verantwortlicher für die Journalistenweiterbildung an der Akademie für politische Bildung in Tutzing, die viele Jahre auch Partner der Journalistenschule der Passauer Neuen Presse war.
In diesem Sammelband hat er den Stand der digitalen Revolution in Bezug auf Medien und Politik versammelt, lässt Theoretiker wie den Eichstätter Professor Klaus Meier über „Alte und neue Formen politischer Öffentlichkeit“ schreiben und Sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger über „Multimedium ohne Tempolimit“.
Ein bisschen Politik dazu mit Themen wie Vorratsdatenspeicherung und Innere Sicherheit sowie der Wählerstruktur der Piratenpartei und fertig ist das Buch. Leider sind diese Kapitel eineinhalb Jahre nach Erscheinen völlig überholt: Die Piratenpartei hat sich inzwischen selber eliminiert und der NSA-Skandal konnte (und wollte) sich die Öffentlichkeit Mitte 2012 noch nicht einmal ausmalen.
Bewertung: ***
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Markus Kaiser (Hrsg.) „Innovation in den Medien – Crossmedia, Storywelten, Change Management“, 205 Seiten, 29 €, Dr. Gabriele Hoofacker, ISBN: 978-3981551204;
Und zuletzt noch ein Sammelband, in dem sich Praktiker austoben durften. Dass die meisten Autoren in München und Umland arbeiten und das Stichwort crossmedial fast auf jeder Seite zu finden ist, hat gute Gründe. Herausgeber Markus Kaiser arbeitet für den Mediencampus Bayern und hat gemeinsam mit dem Journalismus-Berater Christian Jakubetz eine Arbeitsgruppe Crossmedia initiiert, in München natürlich und unterstützt von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (Neue Medien, das waren einst Lokalradio und Privatfernsehen).
Jakubetz‘ Buch „Universalcode“ ist nun auch schon eineinhalb Jahre alt, da wirkt dieser Band wie eine Auffrischung. Datenjournalismus, transmediales Arbeiten, crossmediale Live-Berichterstattung und Medienethik in Zeiten sozialer Netzwerke – das sind alles interessante und wichtige Themen für (Lokal-)Journalisten, die auf der Höhe der Zeit sein möchten. Interviews mit Praktikern ergänzen die theoretischen Ausführungen.
Ärgerlich ist allerdings die München-Zentriertheit. Ohne dem Münchner Merkur Böses antun zu wollen, aber Augsburger Allgemeine und Mittelbayerische Zeitung sind in Bezug auf crossemdiale Konzepte zwei Schritte weiter. Sie kommen in dem Buhc nicht vor. Schade, Chance verpasst.
Bewertung: ****