Aufbruchsjahre im Spießer-Deutschland

Ulla Hahn „Aufbruch“, 592 Seiten, 24,95 €, DVA, ISBN: 978-3421042637;

Hahn_Aufbruch

Es geht um Erinnerungen, die Erinnerungen an eine Kindheit in Deutschland. Eine Kindheit in einem Provinzkaff in der Adenauer-Zeit, in der das ganze Leben vorgezeichnet zu sein schien. Ulla Hahn, eine der bedeutendsten Lyrikerinnen, hat einen Roman mit vielen autobiografischen Elementen geschrieben.

„Das verborgene Wort“, 2001 erschienen, erzählt die Kindheit und Jugend eines Arbeiterkinds im katholischen Rheinland. „Aufbruch“ ist die Fortzsetzung dieses als Trilogie angelgten Zykluses. Auch hier geht es um Hildegard „Hilla“ Palm, die sich in den trüben 60er Jahren unbedingt aus den Fesseln ihres Milieus befreien möchte.

Der Titel „Aufbruch“ markiert den Drang nach draußen, aber ganz so ist es dann doch nicht in weiten Teilen dieses 600-Seiten-Epos‘. Die Erinnerungen sind wie ein Gefängnis. Ob es um die Vergewaltigung von Hilla geht – eine Schlüsselszene – oder auch die Auschwitz-Prozesse, mit denen Hilla erst in der Schule und später auch noch ganz unmittelbar konfrontiert wird.

Modernisierung ist nicht grundsätzlich Hillas Sache: So sieht sie es Entfremdung des Glaubens an, dass Gottesdienste nach dem zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr in Latein, sondern in Deutsch gehalten werden.

Und auch in der Liebe hat die junge Frau kein Glück. Die Beziehung zu einem  Industriellen-Erbe aus Köln scheitert. Ja, sie muss scheitern, weil Hilla für den Mann nur eine Art Projektion ist.

Und so ist der geschilderte Aufbruch eine Folge von Niederlagen. Aus Schmerzen lernen, diesen Prinzip hat die sprachgewaltige Ulla Hahn verinnerlicht. Und so ist Hilla eine (Anti-)Heldin, die zu Herzen geht.

Bewertung: ****

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