Ohne Trost zwischen Cricket und Verlust

Joseph O’Neill „Niederland“, 320 Seiten, 19,90 €, Rowohlt, ISBN: 978-3498050412;

niederland

Dieses Buch verlangt Muße, Geduld. Joseph O’Neill, seit kurzem Liebling der amerikanischen Literaturkritik, schöpft als Erzähler aus dem Vollen.Er schildert kleinste Details, nimmt jedwede Regung wahr und ist zudem ein fanatischer Cricket-Fan – wenn nicht Joseph O’Neill selber, dann die Hauptfigur seines Romans, Hans van den Broek.

Der holländische Banker Broek zieht mit seiner englischen Frau Rachel 1999 nach New York. Dort kommt auch ihr Sohn Jake zur Welt. Nach den Anschlägen vom 9. November 2001 will Rachel zurück in die Heimat: Sie fühlt sich nicht mehr sicher – das gilt auch für die Beziehung, die ebenso in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Der Zusammenbruch der Ehe ist Hans‘ persönliches „Nine-Eleven“. Fortan taumelt er durch die Stadt und durch das Chelsea Hotel. Das traditionsreiche Künstlerhotel ist das Ausweichquartier nach den Anschlägen. Oder Hans geht seinen wöchentlichen Cricket-Terminen nach. Letzteres, ein exotischer Randsport im Baseball-Land USA, wird für Hans zur Flucht.

Sein Rettungsanker ist Chuck, Immigrant wie er. Eigentlich benutzt ihn der nur, aber Hans lässt es geschehen. So ausführlich wie die Eigenarten des Cricket, eines so überkommenen wie an Kolonialzeiten erinnernden Spiels, so präzise schildert O’Neill den Alltag in New York und verknüpft dabei die Spähren der Boni-Banker mit denen der Immigranten.

O’Neill schildert all dies lakonisch,  ja fast ausschweifend, er erzählt die Geschichte in einer eindringlichen Sprache (trotzdem bin ich über die Cricket-Erläuterungen meist hinweg gehuscht). Es ist eine Geschichte von Verlust und Orientierungslosigkeit, aber auch eine Liebeserklärung an einen Moloch, der sich New York nennt und der für Europäer schwer greifbar ist.

Der 1964 als Sohnen eines Iren und einer Türkin geborene Joseph O’Neill weiß, wovon er schreibt. Er wurde in Irland geboren, wuchs in Holland auf, studierte Jura in Cambridge und arbeitete als Anwalt in London, bevor er als Schriftsteller nach New York ging.

„Niederland“ ist große Literatur, kein leichter Stoff, aber ein ungeheuer intensiv erzählter. Ein lesenswertes Buch, das viele der Befindlichkeiten der USA nach den Terroranschlägen  (und vor der Wirtschaftskrise) erklärt.

Bewertung: *****

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