Im vielen Erleben bleibt das Leben auf der Strecke

Marcel Beyer „Kaltenburg“, 400 Seiten, 19,80 €, Suhrkamp, ISBN: 978-3518419205;

Es geht um Dohlen, jene mittelgroßen Rabenvögel … Nein, Unsinn, wie immer bei Marc Beyer geht es um Menschen und um Geschichte. Menschen, die Geschichte machen und die Geschichte, ohne die sie nicht wären wie sie sind. „Kaltenburg“ ist ein Psychogramm der frühen DDR-Zeit, der 50er Jahre, nachdem Stalin starb, Entspannung beginnen sollte und Antisemitismus sich wieder breitmachte im jungen Arbeiter- und Bauern-Staat.

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Orientalisches zwischen Wirklichkeit und Wunsch

Hasan Ali Toptas „Die Schattenlosen“ , 247 Seiten, 19,90 €, „Türkische Bibliothek“ im Unionsverlag, ISBN: 978-3293100046 (ab August als Taschenbuch 9,90 €);

Dass er Gerichtsvollzieher und Finanzbeamter war, das passt eigentlich gar nicht zu Hasan Ali Toptas (50), der, so wörtlich, als „urwüchsiges Erzähltalent“ gilt. In „Die Schattenlosen“ beschreibt er eine Gesellschaft im Aufbruch, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Traum und Wirklichkeit, so der Klappentext ganz treffend.

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Kann ein Krimiautor perfekt morden?

Guillermo Martinez „Der langsame Tod der Luciana B.“, 189 Seiten, 17,95 €, Eichborn, ISBN: 978-3821872001;

„Was erzählt denn ein Kriminalroman in erster Linie? Nicht unbedingt die Tatsachen, nicht die aufeinanderfolgenden Leichen, sondern die Vermutungen, die möglichen Erklärungen, das, was dahintersteckt“, sagt der Schriftsteller Kloster, ein Held Antiheld dieses an Rätseln reichen Kriminalroman. Wer hat recht, wer will wen ermorden?

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Armut, Hunger, Pest – das ganze Mittelalter

Ildefonso Falcones „Die Kathedrale des Meeres“, 656 Seiten, 19,90 €, Scherz, ISBN: 978-3502100973;

Am Anfang stand der „Name der Rose“, diese düstere Mönchs-Gemälde des italienischen Philosophen Umberto Eco, und am Ende nun „Die Kathedrale des Meeres“ des katalonischen Rechtsanwalts Ildefonso Falcones, das seit vergangenem Jahr Europas Bestsellerlisten stürmte. Was um Himmels willen fasziniert uns so am Mittelalter, das wir uns durch 650 Seiten wühlen?

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Welchen Wert hat ein Leben?

Ninni Holmqvist „Die Entbehrlichen“, 320 Seiten, 19,90 €, Fahrenheit, ISBN: 978-3940813008;

Wir haben ein Problem: Die Menschen werden immer älter und damit immer teurer. Das Lösungsmodell von Ninni Holmqvist ist ethisch nicht korrekt, es ist auch nicht sympathisch, es fasziniert in seiner Schlichtheit: Frauen ab 50 und Männer ab 60 kommen, sofern sie keine Kinder haben, in die „Einheit“ als Ersatzteillager für den anderen Teil des Gesellschaft. Die Entbehrlichen dienen den Benötigten.

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Nähe bringt erst die Ermordung der Mutter

Joyce Carol Oates „Du fehlst“, 488 Seiten, 22,90 €, S. Fischer, ISBN: 978-3100540140;

Mutter und Tochter – eine ganz besondere Beziehung, geprägt von Erwartungen, Hoffnungen, Enttäuschungen, von Missverständnissen und von Liebe. Um die geht es in diesem Roman der amerikanischen Vielschreiberin Joyce Carol Oates. Und es geht um eine typisch-amerikanische Mittelstandsfamilie.

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Wunderbare Einblicke in eine längst verlorene Welt

Yasmine Ghata „Die Nacht der Kalligraphen“, 153 Seiten, 17,90 €, Ammann, ISBN: 978-3250600862;

Kemal Atatürk schuf mehr als den heutigen Staat Türkei. Er brach in allen Lebenslagen mit den osmanischen Traditionen. Er bekämpfte den Einfluss der Religion, reformierte die Sprache und wechselte die Schrift: Statt der arabischen wurde die lateinische Schrift eingefügt. Damit wurde das Ende der Kalligraphen zwangsläufig. Keiner spürte das mehr als Rikkat Kunt, eine der wenigen Frauen, die bis in die 20er Jahre diese große Kunst ausübten.

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Je blaublütiger um so dekadenter um so sinnentleerter

Edward St Aubyn „Nette Aussichten“, 200 Seiten, 17,90 €, Dumont, ISBN: 978-3832180249;

„Schöne Verhältnisse“, „Schlechte Neuigkeiten“ und jetzt „Nette Aussichten“. Nach Erlösung klingt der Titel des dritten und letzten Teils der so genannten Melrose-Triologie nicht gerade. Darum geht es auch nicht: Zwar kann Protagonist Patrick Melrose endlich offen reden über die Vergewaltigung durch den Vater, dafür aber benimmt sich der halbe englische Hochadel daneben.

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Wie war das da so mit den 68ern?

Peter Fleischmann „Die Zukunftsangst der Deutschen“, 328 Seiten, 19,90 €, Fahrenheit, ISBN: 978-3940813015;

Auf den ersten Blick klingt der Titel wie der der Studie eines Meinungsinstituts zur Lage der Nation. Tatsächlich aber hat Peter Fleischmann die Geschichte einer Liebe in Zeiten des Umbruchs geschrieben. Das richtige Buch für 2008, wo sich die Deutschen die Medien an 40 Jahre 68-Umbruch erinnern.

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Die Wahrheit beginnt zu zweit

Elizabeth Subercaseaux „Eine Woche im Oktober“, 200 Seiten, 18 €, Pendo, ISBN: 978-3866121546;

Was gibt es Wichtigeres als die Wahrheit? Kann eine Beziehung funktionieren, in der es zwischen den Partnern keine Klarheit gibt? Sie kann, beziehungsweise, die Antwort auf diese Frage ist die Frage nach dem Anspruch. „Eine Woche im Oktober“ ist ein ganz besonderes Buch, ein Buch über Lügen und fehlende Klarheit.

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