Ein Schreibtisch mit Erinnerungen und mit Nichts

Nicole Krauss „Das große Haus“, 384 Seiten, 19,95 €, Rowohlt, ISBN: 978-3498035532;

Wieder mal ein großer Roman, der aus Amerika kommt. Nicole Krauss bedient sich eines riesigen Schreibtischs, als Metapher, um in einem Netz aus Gegenwart und Vergangenheit die Geschichte einer kaputten Familie zu erzählen. Sprachgewaltig, bilderreich, aber nicht gerade leicht zu lesen, ist diese opulente Geschichte von einem der gegenwärtig größten Stars der amerikanischen Literaturszene, verheiratet mit dem Berufskollegene Jonatha Safra Foer.

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Leben in der Katastrophe

Hans Platzgumer „Der Elefantenfuß“, 244 Seiten, 19,80 €, Limbus, ISBN: 978-3902534439;

Noch mal Tschernobyl. Der gebürtige Tiroler Hans Platzgumer ist eigentlich Musiker. Aber wie uns fast alle in Mitteleuropa hat auch den 42-Jährigen das Thema Tschernobyl nicht mehr losgelassen. „Der Elefantenfuß“ ist sein Beitrag zum 25. Jahrestag, ein Roman gegen das Vergessen und darüber, wie präsent die Reaktorkatastrophe für heute ist, vor allem natürlich für die Menschen, die in der betroffenen Region leben.

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Der erhobene Zeigefinger auf die glatten Oberflächen

Adam Soboczynski „Glänzende Zeiten: Fast ein Roman“, 224 Seiten, 16,95 €, Aufbau, ISBN: 978-3351033200;

Und wieder ein Journalist, der sich ans große Format traut. Es ist der Bildungsbürger, der geschniegelte, hedonistische Großstädter, an den sich Adam Soboczynski, preisgekrönter Feuilletonredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ herangemacht hat, der eigene Leser also irgendwie. Nur sollte man nicht den Fehler machen, den Ich-Erzähler, der sich in 29 Kapiteln über Themen wie „Stolz“, „Rauchen“ und „Magie“ seine Gedanken gemacht hat, mit dem Autor zu verwechseln. „Fast ein Roman“ ist eine Betrachtung.

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Erzogen zur Gewalt

Martín Kohan „Sittenlehre“, 247 Seiten, 19,90 €, Suhrkamp, ISBN: 978-3518421826;

Argentinien war vorigen Herbst Gastland der Frankfurter Buchmesse, und dies hatte, wie schon in den Jahren zuvor, den erfreulichen Aspekt, dass Autoren in den (deutschen) Blickpunkt rückten, die bis dato kaum bekannt waren, so wie MartinKohan, Jahrgang 1967, der die unmenschlichen Verhältnisse in einem Elitegymnasium Anfang der 80er Jahre in Buenos Aires beschreibt.

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Wirklich nur ein Strohfeuer

Sascha Lobo „Strohfeuer“, 288 Seiten, 18,95 €, Rowohlt, ISBN: 978-3871346781;

Der Typ provoziert und das nicht nur wegen seiner roten Irokesenmähne. Sascha Lobo, selbst ernannter Vordenker der Internet-Generation und aufgrund seiner klaren Aussprache gern gesehener Gast auf Tagungen zum Journalismus und zu neuen Medien, hat einen Roman geschrieben. Aber den hätte er sich, ehrlich gesagt, auch sparen können. Ein typischer Erfahrungsbericht von einem, der für die kurze These taugt, aber nicht für einen auf 300 Seiten quälend ausgedehnten Spannungsaufbau. Schade, so gerne ich Lobo manchmal höre, „Strohfeuer“ muss man nicht gelesen haben.

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Rein in die Lumpen, raus aus den Lumpen

Roberto Bolano „Lumpenroman“, 109 Seiten, 14,90 €, Hanser, ISBN: 978-3446235465;

Weltberühmt wurde der in Spanien lebende Exil-Chilene Roberto Bolano erst vor ein paar Jahren neben seinem Tod. Der fulminante Roman „2666“ erregte großes Aufsehen. Mit dem „Lumpenroman“ veröffentliche der Hanser-Verlag vorigen Herbst posthum ein weiteres Stück des Meister-Autors.

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Das Unaussprechliche wird enttabusiert

Drago Jancar „Der Baum ohne Namen“, 280 Seiten, 22,90 €, Folio, ISBN: 978-3852565279;

Der Archivar Janez Lipnik hat in seiner Jugend viel Schlimmes erlebt, vor allem den Vater, der als gebrochener Mann aus dem Konzentrationslager zurückgekehrt war. Dazu viel Gewalt im vom Faschismus und dem anschließenden Antifaschismus tief gespaltenen Slowenien. Und  als Lipnik im Alter von 60 auf die Memoiren eines verstorbenen Mannes stößt, der sein Glück nach dem Krieg in Australien suchte und mit „Women of my Life“ eine Chronik seines reichhaltigen Liebesleben schuf, schickt es ihn wieder zurück ins Chaod der Kindertage.

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Der Aufbruch in den goldenen Westen

Kurt Andersen „Neuland“, 896 Seiten, 26,95 €, Blessing, ISBN: 978-3896673541;

Wir schreiben das Jahr 1848. In Europa ist Revolution, und auch in der Neuen Welt geht die Post ab: Ein Dampfer nach dem anderen entlässt im Einwandererhafen von New York Flüchtlinge, Siedler und Hasardeure in das verheißungsvolle Amerika. Zu denen, die ihr Glück suchen, gehört der junge Benjamin Knowles, ein britischer Adeliger, der vor revolutionären Umtrieben in Paris geflohen ist.

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Monolog aus kriegerischen Zeiten

Mathias Énard „Zone“, 588 Seiten, 28 €, Berlin, ISBN: 978-3827008862;

An diesem Buch kann man sich tatsächlich abarbeiten: Ein Monumentalwerk von knapp 600 Seiten, ohne Punkt, aber mit vielen Punkten – angelegt an Homers „Ilias“ miit 24 Kapiteln (statt Gesängen). Und wie die Ilias ist es ein Werk über den Krieg und dessen Gräuel, in diesem Fall den Jugoslawienkrieg. Schauplatz ist ein Zugabteil auf einer Bahnreise von Mailand nach Rom.

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Das Dilemma des Rabbiner Dunkelstein

Robert Schindel „Dunkelstein“, 124 Seiten, 17,90, Haymon, ISBN: 978-3852186450;

„Eine Realfarce“ nennt der Wiener Autor seine Geschichte über den Rabbi Saul Dunkelstein, der 1938 Realpolitik betreibt, in dem er sich den Nazis als Leiter der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde andient und möglichst viele Juden dafür gewinnen möchte, ihr Heimatland möglichst schnell zu verlassen. Seine Maxime dabei: „Wer ein Leben zerstört, zerstört die Welt, wer ein Leben rettet, rettet die Welt.“

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