Aviad Kleinberg „Die sieben Todsünden – Eine vorläufige Liste“, 239 Seiten, 19,90 €, Insel, ISBN: 978-3458174820;
Sieben Todsünden kennt die Kirche: Von Trägheit bis Hochmut, von Neid bis Zorn. Was aber hat dies zu bedeuten? Welche Funktion haben Sünden? Der israelische Geschichtsprofessor Aviad Kleinsberg deutet in einer kulturgeschichtlichen Betrachtung, was gut und was böse ist und warum es das ist. Er hält sich dabei an historische Quellen und interpretiert sie aus heutiger Perspektive auf höchst unterhaltsame Art.
Kleinberg beschreibt nicht nur das Übel der Sünde, sondern auch deren positive Effekte: „Es gibt keine Sünde ohne Kontext. Es gibt keine Sünde an sich. Die bloße Idee der Sünde ist immer schon Ergebnis eines – ausgesprochenen oder unausgesprochenen – Vergleichs zwischen einem konkreten Ideal und eine konkreten Wirklichkeit … Sünde ist ein kulturelles Konstrukt.“
Zwischen Christen- und Judentum gibt es fundamentale Unterschiede in der Bewertung von Sünden, erläutert Kleinberg. Nehmen wir die Völlerei: Der heilige Franz von Assisi liebte zwar die Vögel, hielt aber seinen Körper für einen verachtungswürdigen „Esel“ und nahm kaum etwas zu sich, um rein zu bleiben. Die jüdische Herangehensweise ist anders, zitieren wir Kleinberg:
„Fasten ist eine wirksame Medizin für Krankheiten der Seele, doch die Nebenwirkungen können beinahe so gefährlich sein wie die Krankheit selber. Die Rabbinen wussten das. Sie begegneten der Askese mit Misstrauen. Selbstverleugnung läuft auf eine Kritik am Schöpfer hinaus, der uns geschaffen hat.“
Ein sehr anspruchsvolles Buch, dazu aber lebensnah und spannend.
Bewertung: ****