Aus dem Leben einer Kleinstadt-Antiheldin

Elizabeth Strout „Mit Blick aufs Meer“, 352 Seiten, 19,95 €, Luchterhand, ISBN: 978-3630873305;

Das ist eigentlich kein richtiger Roman, sondern eher eine Sammlung von 13 Erzählungen. Im Mittelpunkt steht die Mathematik-Lehrerin Olive Kitteridge aus Crosby im US-Bundesstaat Maine, eine klassische Antiheldin, deren Leben uns die Autorin auf wundersame Weise entblättert. Dafür bekam sie voriges Jahr den Pulitzerpreis.

Wer kauft einen Roman, der „Mit Blick aufs Meer“ heißt und dessen Einband in kitschigem Hellblau Zaun und Haus zeigt. Na klar, die klassische Rosamunde-Pilcher-Leserin und Traumschiff-Schauerin. Aber gerecht wird das diesem wunderbar erzählten Roman. Kunst nicht Kitsch wird hier geboten.

Olive Kitteridge, nach der der Roman im Original heißt, ist alles andere als sympathisch, eine dicke, launenhafte Matrone, die ihren naiv-blöden Ehemann Henry, einen Apotheker, schikaniert und auch Sohn Christopher, mit dessen Frau Olive im Clinch liegt, hat’s nicht eben einfach mit der Mutter.

Im Laufe der 13 Kapitel aber entblättert Strout ihre Provinzheldin. Wir erfahren von einer unerfüllten Liebe, von einem früheren Schüler Olives, der sich selber umbringt, und sogar die Eheleute finden nach einer gemeinsam durchlittenen Extremsituation wieder zueinander.

Olive ist eine gnadenlos ehrliche Frau: Sie „hat es nie für nötig befunden, verbindlich oder auch nur höflich zu sein“. Das ist eine Qualität, die aber das Überleben in der Kleinstadt nicht einfacher macht. So entblättert sie aber all die Lebensdramen, die sich täglich vor ihrer Haustür abspielen.

Und in der eigenen Familie: Etwa die Geschichte von Christopher, der nach New York gegangen ist, sich dort scheiden lässt, wieder heiratet und erst wieder Kontakt zur Mutter hat, als er deren Hilfe benötigt. Oder auch Olives späte Liebesaffäre mit einem Witwer: Das kann nicht gut gehen, denn sie ist Demokratin und strikt gegen den Irakkrief, er Republikaner und Fan von George W. Bush.

Ein pralles Buch, locker, leicht erzählt – viel zu schade für Zahnarzt-Wartezimmer.

Bewertung: *****


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