Das Unaussprechliche wird enttabusiert

Drago Jancar „Der Baum ohne Namen“, 280 Seiten, 22,90 €, Folio, ISBN: 978-3852565279;

Der Archivar Janez Lipnik hat in seiner Jugend viel Schlimmes erlebt, vor allem den Vater, der als gebrochener Mann aus dem Konzentrationslager zurückgekehrt war. Dazu viel Gewalt im vom Faschismus und dem anschließenden Antifaschismus tief gespaltenen Slowenien. Und  als Lipnik im Alter von 60 auf die Memoiren eines verstorbenen Mannes stößt, der sein Glück nach dem Krieg in Australien suchte und mit „Women of my Life“ eine Chronik seines reichhaltigen Liebesleben schuf, schickt es ihn wieder zurück ins Chaod der Kindertage.

Drago Jancar, bedeutendster Schriftsteller Sloweniens, hat wieder einmal Tabus gebrochen, in dem er sich tief in den blutigen Antifaschismus nach dem Krieg reinarbeitet und erzählt, wie Kollaborateure nach Kriegsende kurzerhand erschossen wurden. Und er fordert den Leser, denn sein Roman beginnt nicht mit dem ersten, sondern mit dem 87. Artikel. Nach dem 99. geht’s zurück aufs erste. Das 100. erwartet der Leser vergebens, es soll in seiner Fantasie entstehen.

In einem dunklen Wald landet der gelangweilte, unglücklich verheiratete Lipnik in einem Traum und trifft dort auf eine schöne Frau, eine Lehrerin, die auf ihren Geliebten, einen Kämpfer gegen die Kommunisten, wartet. Es ist 1944, Aleksij und seine Kampfgenossen stehen vor der Niederlage. Für Lipnik sind dies nach dem Erwachen Bilder, die er aus seiner Erinnerung kennt, durch seine geliebte Lehrerin, die verrückt wurde sich immer wieder selbst die Haare schor, als Andenken an den ihr widerfahrenen Missbrauch.

Lipnik weiß, „in der Vergangenheit gibt es viele Dingem für die es besser wäre, dass sie dort bleiben, wo sie sind“, und doch lässt ihn der innere Zwang die Geschichte des Australien-Auswanderers, der seine alte Lehrerin geliebt hatte,  nicht los, und er gerät immer tiefer in den Strudel der eigenen Kindheit.

Der großartige Drago Jancar räumt jedenfalls mit einem jahrelangen Tabu auf, die unaussprechlichen Gräuel des Antifaschismus, die von den kommunistischen Machthabern bis 1989 zur Staatsdoktrin erhoben worden waren.

Bewertung: `*****


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