Ein Jahrhundertleben: Von Rilke in den Gulag

Angela Rohr „Der Vogel“, 300 Seiten, 18 €, Basisdruck, ISBN: 978-3861631170;

Ein unglaubliches Leben: Geboren 1895 in Mähren in der k&k-Zeit, studierte sie Psychoanalyse bei Siegmund Freud, lebte in der Schweiz, war befreundet mit Rainer Maria Rilke, wurde Kommunistin, ging nach Moskau und überlebte 15 Jahre lang den Gulag und ging dann nach Moskau, wo sie 1985 starb. Ihre wichtigsten Erzählungen und Reportagen hat  nun der Berliner BasisDruck-Verlag veröffentlicht.

Das Oeuvre der Ärztin und Schriftstellerin, die unter acht Pseudonymen schrieb, galt als verschollen, da ihre Texte weder in der Sowjetunion noch in der DDR veröffentlicht wurden. Bertold Brecht hatte sich in den 1940-er Jahren für ihre Freilassung eingesetzt – ein Indiz für die Qualität ihrer Arbeiten.

Hauptmotive von „Der Vogel“ ist das Vegetieren in den sibirischen Lagern: Es geht um Folter, das Brechen der seelischen Integrität, die Zerstörung jeglicher Menschenwürde  – ein Leben am Rande der Existenz, das Angela Rohr (Wilhelm Rohr, ihr dritter Ehemamnn, starb 1942 im Gulag) vor allem deshalb überlebte, weil sie als ausgebildete Ärztin einen Wert für das System hatte.

Geprägt von Dada, Expressionismus und der Lebenswelt Kafkas ist Rohrs Sprache direkt, kühl und schonungslos. Sprachformen ihres expressionistischen Frühwerks zurück. Sie erinnert dann an Dantes Unterwelt, an Dostojewskijs „Totenhaus“, an Kafkas Strafkolonie.

Gesine Bey, die Herausgeberin der Anthologie, war durch Brechts Bittbrief für die inhaftierte Rohr auf die Schriftstellerin aufmerksam geworden. Dass sie nun deren wichtigste Werke veröffentlichen konnte, versehen mit ausführlichen Kommentierungen, verdankt sie auch dem österreichischen Kultur-Attache Hans Marte. Er hatte 1982 das literarische Vermächtnis der Greisin in den Westen geschmuggelt.

Bewertung: *****


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