Frauen zwischen gestern und morgen

Murathan Mungan „Städte aus Frauen“, 350 Seiten, 21,90 €, Blumenbar, ISBN: 978-3936738650;

Frauen sind der Motor des Fortschritts in der Türkei, der gesellschaftlichen Entwicklung jedenfalls. Sie sind es, die den Bruch mit den (islamischen) Traditionen wagen und sich in eine neue Zeit wagen, die die Demokratie und den Konsum fördern. Sie sind auf der Suche, und die meisten haben noch nicht gefunden – jedenfalls jene, denen sich Murathan Mungan zugewandt hat.

Murathan Mungan ist nicht nur ein sensibler und genauer Beobachter, er ist ein Prophet des Übergangs, in dem sich sein Heimatland befindet. Für die alte Ordnung ist der Schriftsteller eine Provokation. Er ist bekennend schwul, kurdisch-arabischer Abstammung und kommt aus dem tiefsten Südosten, aus Mardin. In Istanbul, wo er schon lange lebt, ist er in der jungen, liberalen Avantgarde hoch geschätzt.

Der 55-Jährige erzählt Lebensgeschichten von 16 Frauen. Sie sind exemplarisch für die Umbruchsituation der Türkei, für das Pendel zwischen Mittelalter (in Ostanatolien) und Zukunft (Istanbul), zwischen islamischen Traditionen und westlicher Konsumgesellschaft, zwischen der Unterdrückung von Frauen und deren absoluter Freiheit und Selbstverwirklichung.

Da ist zum Beispiel Asli, die als investigative Journalistin in der Kurden-„Hauptstadt“ Diyarbakir arbeitet. Als sie Opfer eines Taschendiebs wird und zwecks Anzeige zur Polizei geht, stößt sie dort auf eine Jugendfreundin. Beide haben sich völlig unterschiedlich entwickelt. Birsen hat entsprechend geheiratet und ist Teil der aufstrebenden türkischen Mittelschicht. Kurden lehnt sie ab, Linke auch und damit alles, was Asli wichtig ist.

Oder nehmen wir die 17-jährige Nurhayat. Ihr Freund Salin wird, so ist es geplant, demnächst um ihre Hand anhalten. Die junge Frau ist noch einmal in ihrer Heimatstadt Izmir unterwegs und da begreift sie, was es heißt, frei zu sein. Es „drehte sich ihr der Kopf vor lauter Freiheit“. Aber Freiheit ist nicht etwas Schönes, sie ist auch schwer. Und doch ändert sie ihr Leben.

Wundervolle Geschichten erzählt Mungan, in einer klaren, empathischen Sprache, die auch Kitsch nicht auslässt, türkisches Leben eben.Kein Wunder, dass Mungan in seiner Heimat so populär ist.

Bewertung: *****

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