Mely Kiyak „10 für Deutschland, 260 Seiten, 14 €, Edition Körber-Stiftung, ISBN: 978-3896840684;
Es geht um Deutsch-Türken, die’s geschafft haben. Sie sind erfolgreich in die deutsche Politik eingestiegen – auf kommunaler Ebene, in Landtagen oder in Bundestag (wie Lale Akgün, SPD) und Europaparlament (wie Cem Özdemir von den Grünen). Aber die Sammlung von Gesprächen und Porträts der jungen Berliner Journalistin Mely Kiyak ist mehr – das Sittengemälde eines Einwanderungslandes.
Keine Frage, bisweilen idealisieren die integrierten Politiker auch etwas, wie die Ingolstädterin Nesrin Yilmaz, 42 Jahre alt, unverheiratet, alleinerziehend, Unternehmerin – und CSU-Stadträtin: „Das ist doch wie im Schlaraffenland. … In Deutschland können die Ausländer Deutsch lernen, und was ist, sie tun es nicht.“ Da ist viel Wahres dran. Aber so einfach ist Integration eben nicht, wie es die bayerisch sprechende Blondine formuliert. Manchmal geht es eben auch um kulturelle Hindernisse.
Wer kennt die besser, als Cem Özdemir, der schwäbische Türke – der bekannteste Politiker türkischer Herkunft und Vorbild für viele. Einer, der immer bereit war, die fehlende Demokratisierung in seinem Heimatland zu kritisieren (und dafür von den türkischen Medien geprügelt wurde) und einer, der als eloquenter Rhetoriker jede Talkshow in Deutschland schmückt. Einer, der in beiden Welten zuhause ist. Das Gespräch zwischem ihm und Kiyak ist einer der Höhepunkte des Buchs.
Ein anderer ist Parteikollege Ali Ertan Toprak. Er ist Stadtrat in Recklinghausen (nicht so wichtig) und Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde. Dieser Religionsgemeinschaft gehört etwa ein Drittel der Türken an, und doch sind sie in ihrem Heimatland verfolgt, weil sie – obwohl dem Islam zugeordnet – nicht nach dem Grundsatz der „Fünf Säulen“ leben, sondern viel freier, moderner, irgendwie westlicher. Viel weiß man in Deutschland nicht über die Anhänger Alis, Toprak liefert eine der besten Definitionen, die ich je gelesen habe.
Aber auch die anderen Gesprächspartner offenbaren, wie Integration gelingen kann und woran es hapert – und wenn es die Vorurteile der deutschen Mehrheitsgesellschaft sind, ob die Berliner Abgeordnete der Linken Evrim Baba oder der kurdische Zufalls-Stadtrat aus Delmenhorst, der so gerne isst, Murat Kalmis.
„10 für Deutschland“, 10 völlig unterschiedliche Lebensläufe, jeder für sich beispielhaft. Ein Buch, das viel beitragen kann zum Verständnis Deutsche und Türken.
Bewertung: *****
Bewertung
Short URL for this post: http://bit.ly/b3GUnb
Vielen Dank für diesen Tipp, denn dieses Thema ist sehr interessant für mich. Ich arbeite in meinem Beruf als Emotionstrainer oft mit Türken und auch mit Deutsch-Türken zusammen und habe bereits mein eigenes Buch auf Türkisch übersetzen lassen.
Tatsächlich wird auch in dieser Sammlung von Gesprächen wieder mal deutlich, dass so viele Konflikte zwischen Deutschen und Türken lediglich auf unterschiedlichen Temperamenten und kulturellen Gepflogenheiten beruhen, also auf schlichten Missverständnissen. Zurückhaltung und Laisse faire lassen beiden Seiten mitunter schmerzlich vermissen.