Reise in eine andere Zeit

Herta Müller „Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht“, 47 Seiten, 9,90 €, Wallstein, ISBN: 978-3835306288;

Herta Müller kennt inzwischen jeder. Vor einem Jahr war das noch ganz anders. Dann aber kam der Literatur-Nobelpreis, und dies änderte sich. Jetzt interessiert alles, einfach alles aus dem Leben der Siebenbürgerin, die bis in die Gegenwart Opfer des rumänischen Geheimdiensts Securitate war. Davon handelt dieses Essay.

„In Wahrheit aber weiß sie, daß der Verrat überall herumlief, Beziehungen unterwanderte, vor keinem Gefühl haltmachte. Ja, die Liebe war für ihn ein besonderer Fraß – da sie die größte Nähe zuläßt, ermöglich sie den größten Verrat: sie vergiftet das Intimste.“

Unter dem Namen „Cristina“ wurde Herta Müller beim Geheimdienst geführt, seit 8. März 1983. 914 Seiten in drei Bänden. Ihr erstes Buch „Niederungen“ hatte die Staatssicherheit auf den Plan gerufen. Und bis heute hat sich an dem Druck, der auf Menschen wie Müller ausgeübt wird, kaum etwas verändert: „Jede Reise nach Rumänien ist für mich auch eine Reise in eine andere Zeit.“

Auch wenn Rumänien inzwischen Mitglied der EU ist, die Diktatur 20 Jahren überwunden scheint, die alten Seilschaften haben sich nach Müllers Erfahrungen gehalten. Und: „Deutschland ist heute ein gemütliches Reservat für Securitate-Spitzel“, schreibt Müller unter Hinweis auf entsprechende Aktivitäten der Landsmannschaften.

Bedrückend ist dieses dünne Büchlein, schon dadurch, dass Herta Müller erzählt und schlussfolgert, ohne sonderlich emotional zu sein. Sie kann auch ganz anders, wie zum Beispiel ihr aktuelles Werk „Atemschaukel“ zeigt.

Ein examplarisches Buch darüber, wie es Menschen geht, die unter ständiger Beobachtung stehen und stets fürchten müssen, verhaftet zu werden.

Bewertung: ****

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