Marc Buhl „Drei Sieben Fünf“, 280 Seiten, 19,95 €, Eichborn, 978-3821857824;
Das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen ist einer der Berliner Orte, die mich immer wieder anziehen. Nirgendwo sonst in dieser großen Stadt wird das Unrecht der DDR-Zeit so greifbar, wie an diesem Ort des Unrechts, diesem Museum des Schreckens.
Hauptfigur des Romans ist Paul Cremer. Er ist 40 Jahre alt, lebt im Schwarzwald, er ist verheiratet, Vater und Antiquitätenhändler. Als er sich eine Kugel in den Kopf schießt, wird er in letzter Sekunde gefunden und überlebt. Beim Erwachen aus dem Koma, glaubt er 22 Jahre alt zu sein – und in Hohenschönhausen inhaftiert zu sein, im Wendejahr 1989, als Häftling 375.
Er erlebt noch einmal die Verhaftung auf offener Straße. Frische Fische stand auf dem DDR-Laster, auf dem Barkas B 1000, aber in dem Wagen befanden sich „Menschenfischer“ und winzige Zellen und er selbst ist „der Fang auf Eis“. Cremer durchlebt das Vergangene noch einmal, vor allem das Gefühl der Ohnmacht: verzweifelt in der Zelle, bei den Verhören und in der Ausweglosigkeit dieses Ortes, den es eigentlich gar nicht gibt.
Kaum zu glauben: Das Gefängnis Hohenschönhausen und das umgebende Quartier (bewohnt von Geheimdienstlern und Wärtern) existierte bis zum Zusammenbruch des Stasi-Regimes weder im Osten noch im Westen. Ja, es war auf keinem Stadtplan eingezeichnet.
Und nach der Wende? Ja nach der Wende wollte niemand etwas davon wissen. Es war eine Bürgerinitiative, es waren ehemalieg Häftlinge, die Hohenschönhausen zum Mahnmal machen – und jetzt eben der Freiburger – ausgerechnet! – Schriftsteller Marc Buhl (41).
Während die meisten Filme und auch Bücher über das Unrecht versuchen, die Geschichten aus Sicht der Täter zu erleben, hat sich Buhl auf die Spur des Unrechts begeben. Die scheinbare Menschlichkeit des Vernehmers ist lediglich Berechnung, der Versuch, die Persönlichkeit des angeblichen Feins, in diesem Fall Paul Cremer, zu brechen.
Und in der Tat, es gibt kein Entkommen. Cremers zweites Leben kennt kein Entrinnen. Es führt in der (versuchten) Selbstmord und den Leser in eine Möglichkeit der Deutung des Unrechts. Marc Buhl ist ein Kunststück gelungen: Er erzählt aus der Perspektive des Außenstehenden und vermittelt Erkenntnisse, wie es weder Täter noch Opfer könnten. Wirklich gelungen.
Der Roman ist Erinnerung. Er spielt nicht im Gefängnis, sondern in der Klinik. Mitpatient Levin fordert von Cremer, sich zu erinnern. „Sie erinnern sich auch gerne an die Verzweiflung“, fragte Cremer. „Alles andere wäre feige“, sagte Levin.
Ein lesenswerter Roman, ein Stück Zeitgeschichte mit den Mitteln der Fiktion.
Bewertung: *****
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