Benjamin Tienti „Raubvogel“, 105 Seiten, 14,60 €, Luftschacht, ISBN: 978-3902373465;
„Erzählende Literatur abseits der Genres“, so beschreibt der kleine Wiener Verlag Luftschacht seinen Programmanspruch. Das auf den ersten Blick etwas schwachbrüstig wirkendes Romandebüt „Raubvogel“ passt wegen seiner inhaltlichen Schwere und der außergewöhnlichen Erzählform voll zu diesem Anspruch.
„Raubvogel“ ist die Geschichte vom Auseinanderbrechen einer Familie, erzählt aus der Opferperspektive, aus den Augen eines siebenjährigen Kindes. Der glorifizierte Vater, drogensüchtig und ohne wirkliches Verantwortungsgefühl, auf der einen Seite, die sich abrackernde Mutter, eine Krankenschwester, auf der anderen Seite. Ohne sie würde es die Familie nicht geben, aber er spielt den Pausenclown – „everybody’s darling“. Wahnsinn hoch drei!
So eine Familie muss auseinander brechen. Und der Ich-Erzähler empfindet diese Katastrophe wie ein eigenes Scheitern. Er zieht sich in sein Inneres zurück, bis er die mühsam aufgerichtete Fassade nicht mehr aufrecht erhalten kann. Trost bieten ihm nur der vierjährige Bruder und seine gleichaltrigen Freunde.
In einer lakonischen, sehr dichten Sprache und ganz knappen Episoden – so wie es der Welt eines kleinen Jungen entspricht – erzählt Tienti die bittere Geschichte eines Abschieds vom geliebten Vater. Sehr eindringlich sind diese kurzen Stücke, etwa über die Fahrkartenkontrolle in der Stuttgarter S-Bahn, den Ladendiebstahl oder all die anderen traumatischen Erlebnisse.
Der 29-jährige Berliner weiß, wovon er schreibt. Denn er hat jahrelang als Erzieher mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet.
Beeindruckend!
Bewertung: *****