Philipp Tingler „Fischtal“, 304 Seiten, 19,90 €, Verlag Kein & Aber, ISBN: 978-3036955063;
Berlin ist zwar Deutschlands Kapitale, aber als Roman-Schauplatz taugte die angehende Weltstadt bisher wenig. Zu Unrecht, wie der gebürtige Berliner Philipp Tingler mit seinem Romandebut beweist – allerdings hat es den 37-jährigen Autor seit dem Studium in die Schweiz gezogen.
Gustav heißt der junge Held. Aufgewachsen ist der Bürgersohn im Vorwende-Berlin, im vornehmen Zehlendorf. „Fischtal“ ist eine seiner lebendigsten Erinnerungen. Hier lebte die Großmutter, eine starke Frau, aber gescheitert in Ehe und Gesellschaft. Gustav kehrt nach dem Tod der Großmutter nach Fischtal zurück – und findet sich mit seinen Erinnerungen wieder in einer Meute gieriger Erben.
Dort steht er nun, der Gustav: Ein Bürgersohn überdenkt den Untergang seiner Familie, von der er „eigentlich nicht viel wusste“, wie ein Rezensent schreibt. Ein anderer nennt das anekdotenreiche Werk „Verhaltenslehre der Kälte“. Denn die Oma hatte viel Besitz, viel Luxus, aber eins hatte sie nicht: Wärme und Liebe.
Und so verhalten sich auch die Nachfahren. Sie plündern und sie rauben: „Sie besaß zweihundert Paar Schuhe, sieben Nerzmäntel und zwölf Enkelkinder. Oder vierzehn, das konnte Gustav auf die Schnelle nicht rekapitulieren.“ Die Oberfläche ist alles.
Tingler richtet nicht über das großbürgerliche Getue, er schildert sie in allen ihren Facetten – lustvoll, gerade dort, wo es zum Lachen ist. Und tatsächlich, und damit kommen wir zum Anfang zurück, geht es nicht um Berlin. „Fischtal“ ist überall.
Bewertung: ****
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