Irène Némirovsky „Leidenschaft“, 128 Seiten, 14,95 €, Knaus, ISBN: 978-3813503227;
So ein Titel geht eigentlich gar nicht. Das klingt nach Groschenroman, ist aber hohe Literatur. Irène Némirovsky, gestorben 1942 in Auschwitz, ist eine Wiederentdeckung. Bald 60 Jahre waren die Werke der Französin verschollen, jetzt werden sie nach und nach veröffentlicht.
Die 1903 in Kiew geborene Némirovsky wuchs als behütete Tochter einer reichen, jüdischen Bankiersfamilie auf. Im Zuge der russischen Revolution flohen sie über Finnland und Skandinavien nach Paris, wo die junge Frau, die von ihrem Kindermädchen Französisch gelernt hatte, an der Sorbonne studierte.
Mit 18 begann die junge Frau zu schreiben, mit 23 heiratete sie, und drei Jahre später erschien ihr erster Roman, der die Staatenlose in ihrer Wahlheimat Frankreich berühmt machte „David Golder“. Ihr größtes Werk aber war die vor vier Jahren bei Knaus erschienene, unvollendete „Suite francaise“, als deren Fortsetzung „Leidenschaft“ gilt.
Erstaunlich, wie Némorovsky trotz ihrer Lebensbedrohung Liebe und Leidenschaft thematisiert: Colette, die einen wesentlich älteren Mann geheiratet hat und in der französischen Provinz lebt, hat eine Aufgabe, eine glückliche Ehe, wie ihre Eltern – und sie hat ein Geheimnis: einen anderen Mann.
Das schlechte Gewissen darüber bricht heraus, als ihr Ehemann überraschen stirbt. Und auch die Lebenslüge ihrer Mutter zerbricht darüber. Ein Buch über die zerstörerische Kraft der Liebe, ein Buch über die Bigotterie der Zwischenkriegs-Gesellschaft und das geschrieben in einer lakonischen, direkten Sprache.
Wahre Literatur!
Bewertung: ****
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