Rayk Wieland „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“, 160 Seiten, 16,90 €, Antje Kunstmann, ISBN: 978-3888975530;
20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist’s, als hätte es die DDR nie gegeben. Und doch, sie war real, nie realer Sozialismus, aber doch irgendwie real mit all der (Spieß-)Bürgerlichkeit, der Stasi, der Liebesgeschichten und all jener unsinnigen, manchmal sogar richtig schlechten Gedichte, um die herum Rayk Wieland – zur Tarnung! – seinen Roman geschrieben hat.
Herr W., ehemaliger Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, bekommt eines Tages per Post eine Einladung. Er soll als Referent auf einer Veranstaltung zum Gedenken an die unbekannten Untergrunddichter der DDR.
Ein Scherz? Eine Verarschung? Eine Verwechslung? Herr W. – Wie wie Wieland – forscht nach, macht eine Rückführungstherapie und stößt dann auf seine Stasi-Akte. Was er nie geahnt hätte, jahrelang forschte ihn die Geheimpolizei aus, suchte in ungelenk formulierten Liebesgedichten an seine Flamme in Westdeutschland nach Hinweisen für eine angebliche systemkritische Haltung.
Das ist mal eine ganz andere DDR-Geschichte. Mit Augenzwinkern und einer bisweilen beißenden Ironie. Teilweise ist die Geschichte so abgefahren, dass sie wahr sein muss. So eine Groteske lässt sich schlicht nicht erfinden.
Ein geniales Aufarbeitungsbuch, geschrieben aus der Insider-Perspektive. Dass der Autor – ein gelernter Elektriker und studierter (DDR-)Philosoph – als Journalist Karriere machte, wundert nicht. Er formuliert wunderbar, bringt die Dinge auf den Punkt und demaskiert den Verfolgungswahn eines eingebunkerten Staates: Schon die Nutzung des Konjunktivs ist eine Gefahr.
Die Eulenspiegelei ist lesenswert, auch wenn Autor Rayk Wieland mitunter etwas zur Schwatzhaftigkeit neigt, beispielsweise wenn er seitenlang Stasi-Einträge auseinandernimmt. Eine kleine Straffung hätte dem Roman daher gut getan. Ansonsten: Absolut lesenswert – in einer Reihe mit Michael Klonovskys fabelhaftem „Land der Wunder“ .
Bewertung: *****
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