Es klebt viel Blut in den Museen

Melissa Müller/Monika Tatzkow „Verlorene Bilder – Verlorene Leben“, 256 Seiten, 34 €, Elisabeth Sandmann, ISBN: 978-3938045305;

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„Sie werden sich also, sehr geehrte Frau Lissitzky, mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass Ihre Bilder verloren sind.“ So schrieb ein Museumsdirektor aus Hannover im Jahr 1958. Ein unglaublicher Vorgang. Ein Zeugnisn davon, wie jüdische Kunstsammler lange nach Kriegsende ein zweites und drittes Mal beraubt wurden. Davon handelt dieses bemerkenswerte Buch.

600.000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz haben die Nazis geraubt. Immerhin ein Teil der vormaligen Eigentümer überlebten den Krieg oder zumindest deren Erben. Deren Versuch, die Bilder und anderen Kunstwerke zurückbekommen, scheiterten aber allzu oft.  Pervers: In der öffentlichen Meinung werden die Rückgabeforderungen auch noch verurteilt.

Melissa Müller und Monika Tatzkow haben einige der Rätsel entschleiert und Leben und Schicksal von 15 dieser Opferfamilien nachrecherchiert, immer mit Fokus auf deren Sammlungen – „wie es wirklich war, was tatsächlich geschah“, wie die Nachfahren von Max Steinthal formulierten.

Und es geschah nicht zufällig, dess den Nazis diese Werke in die Hände fielen, Hitler selbst hatte den „Entzug“ von Kunstwerken schon lange vor Beginn seiner Herrschaft in „Mein Kampf“ angerissen.

Ab Mitte der 30er Jahre hatten die Sammler keine Chance mehr: Auf „Judenaktionen“ mussten sie ihren Besitz verschleudern, um überleben zu können. Das gleiche geschah ab 1938 in Österreich und nach Kriegsbeginn in den besetzten Ländern rundherum. Müller spricht in ihrer Einführung  vom „größten Kunstraub aller Zeiten“.

Er endete nicht mit der Zerschlagung der deutschen Diktatur. Denn Überlebende, die ihren Besitz zurückhaben wollten, wurden oft unerträglichen behördlichen Schikanen ausgesetzt. Wie sollten sie ihr Eigentum beweisen, wenn sie doch gerade ihr nacktes Leben retten konnten?

So hängen viele der wertvollen Gemälde heute in Museen weltweit, denn selbst die im Dezember 1998 von 44 Staaten verabschiedeten Grundsätze zur Rückgabe der Beutekunst lösten die Konflikte nicht, sondern lösten neuerliche Prozesse aus, die oft nicht zu einem guten Ende für die Alteigentümer führten.

Müller und Tatzkow haben dies exemplarisch dokumentiert. Sie sprachen mit Claude Cassirer, der inzwischen 88-jährig um das Erbe seiner Großmutter Lilly kämpft. Sie erzählen die leidvolle Geschichte von Paul Westheim, Max Silberberg und der selber hochbegabten Wiener Künstlerwitwe Alma Mahler-Werfel.

Es klebt viel Blut in den Museen.

Ein verdienstvolles Werk, das Melissa Müller und Monika Tatzkow da geschaffen haben. Müller, geb. 1967 in Wien, hat schon einiges über die NS-Zeit veröffentlicht (etwa  „Das Mädchen Anne Frank. Die Biographie“ oder „Hitler und der Adel“). Tatzkow, geb. 1954 bei Berlin, gründete 1992e den Wissenschaftlichen Dokumentationsdienst für Offene Vermögensfragen in Berlin »Dr. Tatzkow und Partner«, seit 1998 mit Schwerpunkt NS-Raubkunst.

Bewertung: *****

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