Zülfü Livaneli „Roman meines Lebens – Ein Europäer vom Bosporus“, 360 Seiten, 22,95 €, Klett-Cotta, ISBN: 978-3608938951;
Er ist einer der berühmtesten türkischen Künstler der Gegenwart und ein kritischer Chronist seines Heimatlandes. Jetzt hat der in Anatolien aufgewachsene Filmemacher, Musiker und Schriftsteller Zülfü Livaneli (65) seine Autobiografie vorgelegt – ein spannendes Stück Geschichte über das jahrzehntelange Ringen der Türkei um seine Zugehörigkeit zu Europa.
Ein Roman sind diese Erinnerungen nicht, sondern eine waschechte Lebensbilanz – die eines aufrechten Kämpfers um Demokratie und Menschenrechte, der sein Engagement teuer bezahlte: 1971, nach dem vorletzten Militärputsch in der Türkei, würde Livaneli verhaftet und in einem Militärgefängnis interniert. Er floh nach Schweden und konnte seine Heimat die nächsten fünf Jahre nicht mehr betreten (später musste er noch einmal das Land verlassen). Trotz des Exils avancierte er zu einem der bedeutendsten Liedermacher in der Türkei, der seinen Schwerpunkt auf die Ausöhnung mit der kurdischen Minderheit setzte.
Die Türkei ist ein Land mit zwei Gesichtern, heißt es immer wieder. Ein laizistisch-islamischer Staat (schon das ein extremer Widerspruch) an der Grenze zwischen Orient und Okzident, eine wirtschaftlich aufstrebende Mittelmacht, deren Außen- und Wirtschaftspolitik mal nach Europa zielt und (zuletzt viel stärker) gen Nahen Osten. All das verkörpert der 1946 in Anatolien geborene und aufgewachsene Livaneli, der insgesamt elf Jahre im Exil verbrachte und trotzdem zu einem größten und geachtesten Künstler seines Landes aufstieg.
Wie skurril dieses Leben verlief, wie skurril auch die Türkei ist, verdeutlicht eine Episode von 1971, als einige Dutzend Türken vor der Militärdiktatur nach Westeuropa flüchteten. Unter all diesen, als Wohlstandsbürger „verkleideten“ Exilanten auch Livaneli, der als einziger so reiste, wie er sich fühlte: Schlecht gekleidet, schlecht rasiert, mit einem falschen Pass versehen. Nur er durfte nach Deutschland ein- und nach Schweden weiterreisen. Livaneli, der Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte, war aufgrund seiner bedingungslosen Gradlinigkeit und Ehrlichkeit immer ein Vorbild.
Ein fulminantes Leben. Wir können uns ein Beispiel an diesem aufrechten Mann nehmen!
Bewertung: *****