Internet ist Zeitverschwendung

William Gibson „Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack“, 225 seiten, 21,95 €, Klett-Cotta, ISBN: 978-3608503142;

Ein Begriff hat den heute 65-jährigen William Gibson in den 1980er Jahren unsterblich gemacht. Er prägte das Wort vom Cyberspace, einem virtuellen Raum, einem Computernetz, in dem die Menschen ihr zweites Ich leben. Damals war diese Vorstellung Utopie, heute haben wir Facebook, Second Life, Counterstrike, Amazon und viele andere digitale Lebensbereiche.

Der Cyberspace ist das World Wide Web, und der frühere Science-Fiction-Autor William Gibson beschrieb damals unsere heutige Gegenwart. In der „Newromancer“-Trilogie Mitte der 80er Jahre ging es um eine
durchtechnisierte Welt, in der künstliche Drogen die Wirkung der virtuellen
Netze verstärken und der einzelne Mensch nichts mehr gilt.

Dieser düsteren Vision ist der Amerikaner bis zu seinem letzten Roman treu geblieben, in dem alles Trachten einer Jeans von einer seltenen Nobelmarke gilt. Multinationale Konzerne haben die Macht, der Staat ist schwach und das Individuum nur eine Spielfigur.

Was aber ist das für ein Mensch, der sich so etwas ausgedacht hat, der
vor 30 Jahren Science Fiction schrieb, die heute realer ist, als uns lieb sein
darf? Bei Klett Cotta erschien im Sommer 2013 eine aufschlussreiche Sammlung
von Aufsätzen, Reden und Reportagen, in denen sich der Vietnam-Kriegsverweigerer offenbart, als ein höchst sensibler Mensch mit einigen seltsamen Marotten, der hellwach die politischen Trends verfolgt.

Der Titel „Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack“ ist so irritierend wie viele der in Magazinen wie „Wired“, „New York Times Magazine“ oder „Rolling
Stone“ erstveröffentlichten Abhandlungen über die Zukunft, die sich aus Vergangenheit und Gegenwart ergeben muss, im Gehirn des Autors jedenfalls.

Gibson, geprägt in den 60er Jahren durch Kultautoren wie Burroughs, Kerouac
und Ginsberg, sind das Internet und die digitale Existenz, die er beide
so treffend voraussagte, bis heute suspekt. Er lehnt auch den Begriff des „Informationszeitalters“ ab, das, wie er erinnert, auf das angebliche „Weltraumzeitalter“ in der 1970er und 80er Jahren folgte.

Gibson hält das Internet inzwischen vielfach gar für „Zeitverschwendung“ und empfiehlt, dessen fehlende Struktur als Qualität anzuerkennen.

Lesenswert, nicht nur für Gibson-Fans.

Bewertung: *****

(zuerst veröffentlicht in Nordbayerischer Kurier, Ausgabe vom 23.12.2013)

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