Josef Bierbichler „Mittelreich“, 391 Seiten, 22,90 €, Suhrkamp, ISBN: 978-3518422687;

Ach Du mein Bierbichler. Wie sehr schätzte ich dich bisher als Schauspieler der spartanischen Gesten. Und als Kunde in meiner Buchhandlung. Vor allem aber als Bewohner meines geliebten (Starnberger) Sees. Und nun hast Du wieder einen Roman veröffentlicht – „eine Dorfgesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts“, wie die Süddeutsche ihn nannte.

Dieses Buch ist ein Muss für jeden, der Bayern verstehen will, jene Menschen, die nach dem ersten Anschein so ungehobelt wirken, aber doch ein Kulturvolk erster Güte sind.

Schon der Einstieg: „Nu lass den doch auch mal ran, murmelt der alte Mann und schlägt mit seiner Linken nach dem flatterhaften Vogel. Is nich alles für dich! Hier kriegt jeder was ab, nich nur von die Großen. Auf dem Rücken seiner rechten Hand wippt fett ein Spatz und sticht mit seinem Schnabel nach dem Krümel Brot in seiner linken. Von seinen Knien aus streckt sich ein anderer und hüpft und flattert wild nach oben. Auf seiner Schulter sitzt ein dritter da, wie unbeteiligt oder satt.“

So urwüchsig er als Schauspieler ist, so direkt und wortmächtig präsentiert sich der Schriftsteller, der von einer Gastwirtsfamilie am Starnberger See abstammt und von einer solchen schreibt.

Seine – fiktive – Geschichte führt zurück bis zum Ersten Weltkrieg und erzählt von einer Familie, wie sie die Nachkriegszeit und die Wirtschaftswunderjahre erlebt. Autor Bierbichler ist dabei nicht zimperlich: „Konrad hieß der neue Adolf, und die neue Mark begann nach und nach ein glänzendes Fett anzusetzen.“ Damals, in Bierbichlers Jugendjahren, wurde die Nazizeit konsequent verdrängt, Juden wurden zwar nicht mehr umgebracht, aber schon gar nicht gemocht, und Flüchtlinge galten als Eindringlinge.

In dieser harten Zeit, voll verdrängter Familien-Konflikte blieb für Selbstverwirklichung kein Platz. Der Vater, der eigentlich Künstler werden wollte, kann nicht anders, er muss die Familienwirtschaft übernehmen, und der Sohn den Missbrauch im Klosterinternat akzeptieren. Beten solle er, sagt die Mutter  „und nachher denkst du nicht mehr daran“.

Ein fulminantes Buch, ein Sittengemälde – Bayern pur, und natürlich der Starnberger See. Eine Empfehlung!

Bewertung: *****

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