Wer wusste eigentlich was? Auch 66 Jahre nach Kriegsende wird in Historikerkreisen darüber gestritten, ob die Deutschen schon während der Nazi-Diktatur vom Holocaust, also der systematischen Vernichtung der Juden, wussten. Der lange in Deutschland tätige amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas hat jetzt so eine Art Anti-Goldhagen vorgelegt. Der hatte vor 15 Jahren die Deutschen als „Hitlers willige Vollstrecker“ dargestellt. Wie zu erwarten war, bekommt de Zayas vor allem Beifall von rechten Kreisen.
Da kann aber jetzt nicht unbedingt der Autor etwas dafür. Denn de Zayas ist hoch dekoriert als Experte für Kriegsvölkerrecht und als leitender Mitarbeiter des UN-Hochkommissars fürMenschenrechte. Seit 35 Jahren schon treibt laut Verlagsdarstellung den inzwischen pensionierten Wissenschaftler die Frage der Kollektivschuld um, und inzwischen ist er sich sicher: Das deutsche Volk wusste nichts!
Spätestens seit den Reaktionen auf die Judenprogrome 1938 war sich die Staatsführung darüber im Klaren, dass die später so genannte „Endlösung der Judenfrage“ im Volk nicht akzeptiert werden würde. Also machte sie sie zur Geheimsache, so – etwas verkürzt – de Zayas Kernthese. Er ist nicht der erste, der dies behauptet, und wie viele andere vor ihm stützt er seine Argumentation auf den „Führerbefehl Nr. 1“ vom 11. Januar 1940. Er lautete:
„1. Keine Dienststelle und kein Offizier dürfen von einer geheimzuhaltenden Sache erfahren, wenn sie nicht aus dienstlichen Gründen unbedingt davon Kenntnis erhalten müssen; 2. Keine Dienstelle und kein Offizier dürfen von einer geheimzuhaltenden Sache mehr erfahren, als für die Durchführung ihrer Aufgabe unbedingt erforderlich ist;
3. Keine Dienstelle und kein Offizier dürfen von einer geheimzuhaltenden Sache früher erfahren, als dies für die Durchführung ihrer Aufgabe unbedingt erforderlich ist.“
De Zayas hat intensive Quellenforschung betrieben, um zu belegen, dass dieser bei Missachtung lebensgefährliche Befehl tatsächlich befolgt wurde. Er zitiert aus den Nürnberger Prozessen und aus Zeitzeugengesprächen. Letztendlich aber ist die Frage, wie viele Deutsche vom Holocaust gewusst haben, in der heutigen Zeit, da es kaum noch Zeitzeugen gibt, außer für Historiker völlig unerheblich. Was bleibt sind über sechs Millionen tot Juden, für die das damalige Deutschland verantwortlich war. Dieser Aspekt geht aber im Hurrageschrei der rechten De-Zayas-Fans völlig unter.
Fazit: Man muss dieses Buch nicht lesen.
Bewertung: ***
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