Nicht gerade Opium fürs Volk

Die Sehnsucht nach Werten, die Überforderung in einer globalisierten Welt – Themen wie diese beherrschen seit Jahren die Gazetten und auch den Buchmarkt. Ein paar der interessantesten, kritischen Bücher, in denen es um Sinn und Unsinn von Religion geht, stellen wir hier vor. Neuerscheinungen? Naja nicht nur, das „Traktat über die drei Betrüger“ erschien 1768 zum ersten Mal.

Vorgestellt werden:

Daniel C. Dennett „Den Bann brechen – Religion als natürliches Phänomen“ (Verlag der Weltreligionen);
Christian Schüle „Die Bibel irrt“ (Rowohlt);
Anonymus „Traktat über die drei Betrüger“ (Felix Meiner);
Richard Dawkins „Die Schöpfungslüge“ (Ullstein);

Daniel C. Dennett „Den Bann brechen – Religion als natürliches Phänomen“, 531 Seiten, 28,80 €, Verlag der Weltreligionen, ISBN: 978-3458710110;

Was ist eigentlich Religion? Daniel C. Dennett, einer der renommiertesten Philosophen, nennt Religion ein  Phänomen wie jedes andere auch, das deshalb auch mit wissenschaftlichen Methoden erforscht werden kann.

„Opium fürs Volk“, nein, so leicht wie Karl Marx macht es sich der amerikanische Wissenschaftler nicht. Aber auch seine Untersuchung ist im politischen Kontext zu sehen. In einer Zeit, da Kreationisten in Amerika immer mehr die Meinungshoheit übernehmen, will Dennett die Normalität überlieferter Religionen klar machen.

Der erklärte Atheist argumentiert dabei nicht laut, sondern subtil und gelassen und unter Rückgriff auf die Entwicklung von Volksreligionen. „Meme“ sind dabei die Werkzeuge, zu deutsch eine Idee, ein Gedanke, der vervielfältigt und überliefert wird – sozusagen der nichtstoffliche Bruder der Gene.

Interessantes Buch, nicht immer einfach, aber mit vielen Einblicken, auch darin, wie hoch der Widerstand ist, also der Bann, den es zu brechen gilt, wenn man mit Gläubigen über eine derartige Interpretation von Religion diskutieren möchte.

Bewertung: *****


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Christian Schüle „Die Bibel irrt“, 256 Seiten, 19,95 €, Rowohlt, ISBN: 978-3498064105;

Der Journalist Christian Schüle ist weit gereist, in den Nahen Osten, in den Irak, nach Ägypten. Und überall sucht er nach den Spuren der Bibel. Sieben große Mythen aus dem Alten Testament ist er auf den Grund gegangen.

Wo ist das Paradies? Gab es tatsächlich eine Sintflut? Und die Schlacht um Jericho: Wann war die? Hoch spannend und sehr kurzweilig lesen sich Schüles Recherchen, der sich eben nicht nur auf Forschungsberichte stützt, sondern selber vor Ort war und seinen Verstand sprechen lässt.

Auch wenn Schüle vielen Gläubigen widerspricht, die die Bibel am liebsten Wort für Wort interpretieren, er outet sich auch ganz klar als Fan dieses außerordentlichen Buches, das für ihn trotz aller Blutrünstigkeit voller zeitloser, bis heute gültiger Tipps für ein besseres Leben steckt.

Bewertung: ****


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Anonymus „Traktat über die drei Betrüger“, 168 Seiten, 16,90 €, Felix Meiner, ISBN: 978-3787311743;

Was für eine spannende Geschichte. Vor über 300 Jahren behaupteten unbekannte Kritiker, dass die Religionsstifter Moses, Jesus und Mohammed Betrüger gewesen seien. Die Ursprünge dieser ketzerischen Thesen („De tribus impostoribus“) geht sogar aufs 13. Jahrhundert zurück.

Und natürlich wurde das Buch, das auf die europäische Aufklärung großen Einfluss gehabt haben soll, immer wieder verbrannt und zirkulierte nur unter der Hand in Gelehrtenzirkeln. Denn natürlich wäre jede öffentliche Debatte über die Kritik an den Religionsstiftern mit der Todesstrafe bedroht gewesen.

Baruch de Spinoza (1632-1672) gehörte zu den ersten europäischen Denkern, die die Vorstellung von Gott als Person in Frage stellten und eine abstraktere Interpretation verlangten. Der für die „drei Betrüger“ verantwortliche Anonymus ging noch einen Schritt weiter und stellte die Existenz von Gott gleich ganz in Frage und wurde so natürlich auch der alles beherrschen Kirche gefährlich, die ihre Normen, ihre Ethik stets auf Gott zurückführte.

Das ausführliche Vorwort von Herausgeber Winfried Schröder stellt den für das Verständnis des heutigen Lesers unbedingt notwendigen Kontext her.

Bewertung: *****

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Richard Dawkins „Die Schöpfungslüge“, 524 Seiten, 24,95 €, Ullstein, ISBN: 978-3550087653;

Ganz klar, wo Richard Dawkins drauf steht, ist auch Richard Dawkins drin. Der britische Zoologe will seit vielen Jahren beweisen, dass Darwin Recht hatte mit der Evolutionstheorie und dass die religiöse Vorstellung einer göttlichen Schöpfung Quatsch ist.

Nach dem „Gotteswahn“ und den „Geschichten vom Ursprung des Lebens“ hat der wortgewaltige Autor nun noch einmal ausgeholt, um Darwin vor Sozialdarwinismus und vor kreationistischen Schöpfungsanhängern zu schützen.

Dawkins versteht es, mit viel Humor und Schwung wissenschaftliche Erkenntnisse populär darzustellen und für Laien verständlich zu machen. Dass er dabei mitunter womöglich etwas übertreibt, mag dem Missionar in eiger Sache vergeben werden. Dass nun jedes Jahr ein neues Buch zu den alten Thesen herauskommt, allerdings nicht.

Bewertung: ****





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