Der in Kaliningrad lebende Grischkowez ist so etwas wie der russische Dario Fo, Erzähler, Regisseur, Schauspieler und Chronist. „Flüsse“ ist nach seinem gefeierten Roman „Das Hemd“ eine Rückkehr an die Orte seiner Jugend im tiefen Sibirien in einer hierzulande kaum bekannten Großstadt namens Kemerowo.
Jewgenij Grischkowez hatte genügend Gründe aus Sibirien wegzugehen, nicht nur weil es in der Taiga so kalt ist. Romantisch ist es hier nicht, es begegnen einem auch nicht überall Bären, dafür gibt es viele, viele Flüsse, und auch der Alkohol strömt zur Bekämpfung der buchstäblichen russischen Schwermut, die auch dem Autor nicht fremd zu sein scheint.
Als Jugendlicher las Grischkowez die Romane von Jack London, ohne die Parallelen zu seiner Heimat zu sehen. „Dort war Alaska, da gab es Hundeschlitten und echte mörderische Kälte. Bei uns ging es normal zu. Normal!“ Und auch sonst ist das ferne Sibirien Alaska nicht so unähnlich. Hier wie dort gibt es Rohstoffe, und auch die Geschichtslosigkeit verbindet beide Regionen: Kermerowo entstand erst während des Krieges, 1943.
Und dann geht der Autor in seinem Monolog auch noch ausgiebig auf die Weite des Landes ein: „Ein Einwohner von Omsk kann zu einem Einwohner von Irkutsk, wenn sie sich irgendwo in einem Ferienort am Schwarzen Meer begegnen, sagen: ‚Da sind wir ja aus derselben Gegend.‘ Und der andere wird das nicht bestreiten und sich sogar darüber freuen. Sie sind aus derselben Gegend, obwohl ganz Europa von Finnland bis Portugal leicht zwischen ihren Städten Platz findet.“
Humorvoll-ironisch berichtet Grischkowez aus seiner Heimat und bietet uns Zentraleuropäern interessante Einblicke. Wer wird ihm nach der Lektüre dieser schmalen Büchleins verdenken, dass er sich möglichst weit im Westen seines Heimatlands niedergelassen hat, in der Exklave Königsberg.
Aber: Einmal Sibirien, immer Sibirien. „Es reizt mich regelrecht, zu sagen, dass man mir nicht wegnehmen kann, was ich erlebt habe. Es gibt das, was mir Großvater erzählt hat. Das ist alles meins, und nur meins!“ Und am Ende sind wir doch alles nur Menschen.
Bewertung: ****
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