In der “Perle” geht die Post ab

Katja Oskamp „Hellersdorfer Perle“, 219 Seiten, 18,95 €, Eichborn, ISBN: 978-3821861104;

Was unterscheidet die Männer aus dem Osten von denen aus Westdeutschland? Genau, sie schauen den Frauen auch mal auf den Arsch. Und das macht müde Frauen mitunter munter. So wie die Ich-Erzählerin, die in ein dubioses Lokal namens „Hellersdorfer Perle“ kommt und dort ein neues Leben entdeckt.

Mitte 30 ist Katinka, ein Kind, in Ehe lebend mit einem ihr treu ergebenem Mann. Alles gut also? Mitnichten, nur ein Ausbruch aus dem gesitteten Alltag kann die Frau noch retten, auch wenn sie nicht weiß, warum das so ist. Also packt sie ihren Koffer, steigt in die Straßenbahn und fährt bis zur Endstation. Bis zu dieser Bar ist’s nur ein Katzensprung, für die Ehefrau und Mutter ist es aber wie der Übertritt in eine neue Welt, ein neues Leben.

Und als der alte Mann, mit Hörgerät und „Bauarbeiterhänden“, ihr einen Sekt bestellt und ihr anschafft „Morgen Abend um elf. Ziehen Sie bitte einen Rock an“ verlässt sie wirklich alles, was ihr bisher heilig war. Und er will mehr, er will sie im Korsett sehen: „Da stand sie, die Frau im Spiegel, Mitte dreißig, groß geworden an FKK-Stränden, wie alle aufgewachsen mit dem Aufklärungsbuch ,Denkst du schon an Liebe?’, und trug unter den Kleidern die volle Hurenmontur.“

Auch wenn Katinka immer wieder in das alte Leben zurückkehrt, unsere Heldin hat nun Blut geleckt und erkennt sogar, dass der alte Mann ausgerechnet ihre Jugendliebe repräsentiert. So ist das Leben: Man wird seine Vergangenheit nicht los. Und doch ist das Leben einfach: „Jede Sexualität, sagt sie, ist pervers. Oder es ist keine. Im Bett gibt es nur oben oder unten! Die Mitte existiert nicht.“

Katja Oswald, geboren in Leipzig, aufgewachsen in Berlin und zur Wende gerade mal 19, erzählt die Geschichte mit beißendem Spott und unbekümmerter Direktheit. Urlaub aus dem Alltag, was für eine lockende Vorstellung. Und in diesem Buch wird all die Selbstgefälligkeit, all die Oberflächlichkeit der heutigen Mittdreißiger zum Spiel mit der Realität. Das kann doch nicht alles gewesen sein, heißt die Botschaft.

Oder doch? Ein vergnügliches, direktes Buch mit vielen Tempowechseln. Einfach lesen.

Bewertung: ****




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