Das ist eines dieses seltenen Bücher, die eine ganz unbekannte Zeitgeschichte erzählen. Eine Geschichte, die ohne diese Arbeit verschollen wäre. Es geht um den berühmten Freundeskreis von Stefan George. Dieser bedeutende, aber leider heute nicht mehr gelesene Schriftsteller sammelte bis in die 1930-er Jahre viele Dichter, Philosophen und Intellektuelle um sich. Was aus ihnen nach Georges Tod wurde, ist Thema dieser Arbeit.
Es gab einen guten Grund, dieses Buch zu besorgen. Vor 15 Jahren bei Recherchen für ein Buch über die NS-Zeit in meiner Heimatstadt Wolfratshausen, stieß ich auf Erich von Kahler. Der jüdische Privatgelehrte, der 1914 aus München ins idyllische Wolfratshausen gezogen war, und 1933 ins Exil in die USA (und ins Vergessenwerden) flüchten musste, gehörte ebenfalls zum Stefan-George-Kreis.
In Ulrich Raulffs posthumer Biografie wird auch einiges über die späten Jahre Kahlers berichtet, über seine Ehe und sein philosophisches Hauptwerk („Man in the Measure“) und über die Beziehungen zu den einstigen Mitstreitern im Stefan-George-Kreis.
Die Freunde des Dichters waren allesamt außergewöhnliche Charaktere (andere hätte George in seiner Nähe auch nicht geduldet), sie repräsentierten eine intellektuelle Boheme, die nach der Machtergreifung Hitlers zerschlagen und in alle Welt verstreut wurde: Das „geheime Deutschland“ hieß dieser Kreis inoffiziell.
Erst in den 60-er Jahren verlieren sich dessen Spuren, nachdem auf der Karibikinsel St. John die Asche von Ernst Kantorowiczs ins Meer gestreut wurde. Auf der ganzen Welt hat Raulff die Spuren der einstigen George-Jünger verfolgt, detailgetreu und mit allen möglichen Querverbindungen.
Das Werk ist eine ungeheure Fleißarbeit des Direktors des Deutschen Literaturarchivs in Marbach/Neckar. Als ehemaliger Feuilletonchef der FAZ und leitender Redakteur der SZ hatte er das Recherchieren natürlich gelernt. Ein Buch für all jene, die bereit sind, ein unbekanntes Kapitel unseres Landes aufzublättern.
Bewertung: *****
