Die Titel:
Navid Kermani „Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime“;
Seyran Ates „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“;
Tariq Ramadan „Radikale Reform“;
Navid Kermani „Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime“, 173 Seiten, 16,90 €, C. H. Beck, ISBN: 978-3406577598;
Navid Kermani, Schriftsteller iranischer Herkunft, war Mitglied der deutschen Islamkonferenz und somit einer der profiliertesten Islam-Repräsentanten in diesem Land. Der 43-Jährige versucht in „Wer ist wir“ die Schärfen aus der laufenden Religions-Kontroverse zu nehmen und betont Gemeinsamkeiten.
Religionsdebatten in einer laizistisch organisierten Gesellschaft wie der deutschen hält er für falsch und in eine Sackgasse führend. Kermanis Kernthese ist, dass das Fremde eine Gesellschaft bereichert und nicht bedroht. Eine Idee, die denkenden Menschen nahe liegt und einer tumben Masse, die den Krieg an den Stammtischen offensichtlich gewonnen hat, absurd erscheinen mag.
Ein kluges Buch, das mich leider irgendwann gelangweilt hat. Vielleicht bot mir Kermani einfach zu wenig Neues.
Bewertung: ****
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Seyran Ates „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“, 219 Seiten, 19,90 €, Ullstein. ISBN: 978-3550087585;
Auch Seyran Ates war Mitglied der Islamkonferenz – allerdings eine, die aus allen Ecken Widerspruch provozierte. Mit ihrem neuesten Buch hat sie es sich mit den Muslims endgültig verdorben. Die „Streitschrift“ erklärt sich auch aus Ates persönlicher Geschichte.
Verletzt wurde die in Berlin lebende kurdisch-türkische Anwältin vor vier Jahren, als sie auf offener Straße vom Ehemann einer Mandantin angegriffen wurde, und Jahre vorher, in ihrer Studienzeit, trug sie schwere Verletzungen davon, als eine junge Türkin auf offener Straße von einem Mann erschossen wurde.
Die Frauenrechtlerin, die mit sechs Jahren nach Deutschland einwanderte, ist eine Radikale, eine, die sich im Widerstreit der Traditionen, längst für Deutschland entschieden hat und die Benachteiligung der Frauen in den heutigen muslimischen Gesellschaften mit allen publizistischen Mitteln bekämpft – ungeachtet der Gefahr, in die sie sich persönlich begibt.
Sexualität war und ist ein heißes Eisen für Muslims. Die westlich geprägte Direktheit berührt reihenweise Tabus und erzeugt Aggressionen. Ob auf diese Weise eine „Aufklärung“ im Islam provoziert wird, ist eher zweifelhaft. Und tatsächlich ist sexuelle Offenheit nicht die Lösung aller Probleme.
Ein wichtiges Buch, aber die pure Provokation. Durch die Härte der Konfrontation wird es die Diskussion beziehungsweise Integration leider keinen Deut weiterbringen, aber die Konfliktlinien werden in jedem Fall deutlich.
Bewertung: ***
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Tariq Ramadan „Radikale Reform“, 432 Seiten, 24,95 €, Diederichs, ISBN: 978-3424350005;
Das mit Abstand schwierigste der hier besprochenen Bücher über den Islam in Deutschland. Eine Erörterung für Menschen, die sich fast schon wissenschaftlich mit dem Islam auseinandersetzen möchten. Immerhin zählte das „Time Magazine“ den arabisch-stämmigen Schweizer zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Welt.
US-Präsident George Bush bezichtigte Ramadan, den Terrorismus zu fördern, und Großbritanniens Premier Tony Blair schätzte seinen Rat. Der 48-jährige Philosoph und Islamwissenschaftler, ein Enkel des Gründers der fundamentalistischen Moslembrüder, Hassan al-Banna gilt als Schlüsselfigur im Dialog zwischen Islam und westlicher Welt.
Ramadan bemüht sich um die Quadratur des Kreises: „Eine Reform, die bestrebt ist, gleichzeitig den Werten treu zu bleiben, sich der Welt anzupassen und sie auch noch zu verändern.“ Ramadan, der in Genf aufgewachsen ist und nun in Oxford lehrt, geht die herrschenden Probleme zwischen Ost (Islam) und West (Christentum) aus muslimischer Perspektive an.
Das macht seine Auseinandersetzung lesenswert, aber für Laien sehr schwierig. Trotzdem: Ein wichtiges Buch!
Bewertung: ****
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