Boualem Sansal „Das Dorf des Deutschen“, 279 Seiten, 22,90 €, Merlin, ISBN: 978-3875362701;

Dass ein algerischer Schriftsteller über einen Deutschen schreibt, erscheint nicht nur auf den ersten Blick seltsam. Dass er Islamismus und Nationalsozialismus in Beziehung setzt auch. Gleichwohl ist „Das Dorf des Deutschen“ eine eindrucksvolle Geschichte, eine, die in Algerien bis heute unerwünscht ist und im „Mutterland“ Frankreich zutiefst umstritten.

Der Deutsche, das ist Hans Schiller. Der ehemalige SS-Mann tauchte nach Kriegsende in Ägypten unter und ging dann Jahre später nach Algerien, baute sich dort ein neues Leben auf, konvertierte zum Islam, heiratete und zeugt zwei Söhne auf, die er zum Studium nach Frankreich schickt.

Hans Schiller war einst hoch geachtet  als Held des algerischen Unabhängigkeitkampfes, und er schaffte es bis in den Generalstab. Er bildete Offiziere aus und trainierte Guerillas. Sein Vorleben, das ihm ein Verfahren als Kriegsverbrecher einbrachte, war nur ganz wenigen Leuten bekannt. Das Dorf, in dem er lebt, wird von den Algeriern das „Dorf des Deutschen“ genannt. Islamisten bringen ihn und seine Frau 1994 grausam um.

Damit nimmt die andere Geschichte ihren Lauf, die von Schillers Söhnen Rachel und Malrich. Rachel hat Erfolg in Frankreich, eine glückliche Ehe und erfährt im Fernsehen vom Massaker in seinem Heimatdorf. Ein Koffer, den er im Elternhaus findet, bringt ihn auf die Spur des Massenmörders, der sein Vater war. Rachel folgt seinen Spuren und zerbricht an der Schuld des Vaters.

Malrich, bis dahin das „schwarze Schaf“, geht mit dem neuen Wissen anders um, ganz offensiv. Er schreibt darüber und forscht in den Pariser Banlieues, den Vorstädten, über die Islamisten, die im Milieu mittelloser Migranten viele Anhänger finden.

Der junge Mann findet viele Parallelen zwischen dem wachsenden Islamismus und der verlogenen Umgang der Öffentlichkeit damit und dem was 60 Jahre vorher in Europa durch Faschismus und Antisemitismus passierte.

Ein beeindruckendes, ein kühnes Buch. Boualem Sansal, ehemaliger Ministerialbeamter in Algier, debütierte erst 1999 als 50-Jähriger. Er träumt von und schreibt für ein Ende der Militärdiktatur, die sein Heimatland seit 48 Jahren im Klammergriff hält.

Ende der 70er Jahre war Sansal selber in dem „Dorf des Deutschen“ gewesen, der ihm nun als Vorbild für seinen Roman diente. Auch dies ein interessanter Aspekt: Von jenen Nazis, die nach Südamerika flüchteten, weiß man. Nordafrika als Exil ist neu. Aber es gab eben viele Diktaturen, die Fachleute fürs Töten brauchen konnten.

Bewertung: ****

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Lauter Lesenswertes

Faschisten, Islamisten und die Schuldfrage

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