Nein, die Frage heißt nicht: Muss Strafe sein? Es geht hier um eine Antwort. Denn Winfried Hassemer, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Strafrechtsprofessor, ist überzeugt, dass Strafe sein muss. Entscheidend sind das (Augen)Maß und der gesellschaftliche Kontext der Bestrafung. Zunächst einmal ist Strafrecht eine zivilisatorische Entwicklung, ein Kanon von Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben. Sie sollen nachvollziehbar, für alle gültig und gerecht (was ist das?) sein. Ohne ein solches Strafrecht und Institutionen, die es vertreten, droht das Chaos. Strafen müssen also tatsächlich sein, damit eine Gesellschaft funktionieren kann. Die Überwachung von deren Normen ist eine Form der sozialen Kontrolle.
Hassemers Buch ist indes kein Einstieg in die Juristerei. Der Hochschullehrer erläutert in diesem faszinierenden „Plädoyer“ (so der Untertitel) jene grundsätzlichen Debatten, die unser Lebenzurzeit gravierend beeinflussen, nämlich den Diskurs zwischen repressiver und präventiver Bestrafung.
Geht es also um Vergeltung? Wird eine Straftat, ein Verbrechen gesühnt? 15 Jahre für Mord, fünf Jahre für Vergewaltigung, zwei für Betrug. Oder müssen wir stärker auf Vorbeugung setzen? Also vorrangig „Therapie“ und nicht die bloße Bestrafung, um jenen, der die Normen übertreten hat, zu überzeugen, dass er dies nicht mehr tut und ihm die Möglichkeit zu geben nach Verbüßung der Strafe in die Gesellschaft zurückzukehren.
Dieses Prinzip hat sich inzwischen in den westlichen Gesellschaften durchgesetzt, erläutert Hassemer, aber inzwischen ist die prävention auch pervertiert – und da sind wir bei der gegenwärtigen Diskussion. Wieviel Vorbeugung kann sein, darf sein?
Die Totalüberwachungspläne des vormaligen Innenministers Schäuble, begründet mit der Gefahr von Terroranschlägen, ist ein anschauliches Beispiel dafür, wann der Präventionsaspekt pervertiert und tatsächlich zur Einschränkungen der persönlichen Freiheiten aller Bürger führen kann, wie der Rechtsprofessor darlegt.
Hassemers Lösungsvorschlag einer „positiven Generalprävention“ bedarf noch der Erläuterung. Tatsächlich aber waren es Hassemer und seine Kollegen vom Verfassungsgericht, die den Überwachungsfantasien der Politik in den vergangenen Jahren immer wieder einen Dämpfer versetzt haben. Wenn man dieses im Übrigen auch für Laien überaus verständliche Buch liest, weiß man warum.
Bewertung: *****
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