Der Mann ist 81, und er ist einer der größten Nörgler in dieser Republik. Wolfram Siebeck kümmert sich seit über 50 Jahren darum, was die Deutschen essen. „Feinschmeckerpapst“ ist der am häufigsten gebrauchte Ehrentitel für den Gourmetkritiker, der bis heute im Zeit-Magazin eine wöchentliche Kolumne schreibt.
„Das Kochbuch der verpönten Küche“ ist allerdings kein Schön-Wetter-Bruzzeln. Siebeck führt uns an die Ursprünge deutscher Gastrokunst. Er bereitet Gerichte zu, die am ehesten Ekel verursachen, in Zeiten von BSE schon gar.
Aber er schreibt so warmherzig und liebevoll über Kalbskopf, Lammhirn, Kuddeln und Bries, das einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Paprikagulasch vom Fohlen, Safranrisotto mit Schnecken und Froschschenkel, nichts davon findet sich heute noch auf der Speisekarte eines gewöhnlichen Restaurants. Und doch hat alles seinen Reiz.
Das war vor ein paar Jahr(zehnt)en noch anders. Da war Siebecks „verpönte Küche“ eine ganz normale, teilweise sogar exklusive Küche. Manches entsprang aber auch dem Drang, ein geschlachtetes Rind komplett zu nutzen, nichts wegschmeißen zu wollen.
Verschenken Sie dieses reich bebilderte Buch nicht an ihre Schwiegermutter, sie würde es ihnen nie verzeihen. Schenken Sie’s nur jemandem, der bereit ist, die kulinarisch ausgetretenen Pfade der allgegenwärtigen TV-Kochshows zu verlassen. Das Hochzeitspaar, dem ich zwei der Rezepte überließ für das selbst gemachte Kochbuch, musste jedenfalls beim Anblick von Kalbshirn schon zwei Mal schlucken.
Man braucht schließlich Charakter und unter Umständen eine gehörige Portion Zynismus, um Kalbsbries zuzubereiten, das laut Siebeck „einer rosa Qualle“ ähnelt. Aber man braucht auch Charakter, um zu heiraten. Also:
Guten Appetit!
Bewertung: ****
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