Naif Bezwan „Türkei und Europa“, 347 Seiten, 59 €, Nomos, ISBN: 978-3832940003;
Die EU und die Türkei passen unter den gegenwärtigen Voraussetzungen nicht zusammen. Dies ist das Fazit aus Naif Bezwans akribisch recherchierter Arbeit mit dem Untertitel „Die Staatsdoktrin der Türkischen Republik, ihrer Aufnahme in die EU und die kurdische Nationalfrage“. Was fehlt, ist ein demokratisches Selbstverständnis.
Die Beziehungen zwischen der Türkei beziehungsweise dem Osmanischen Reich und Kontinentaleuropa waren schon vor bald 200 Jahren geprägt von geostrategischen Erwägungen. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts war das türkische Interesse vor allem, den Erzfeind Russland zurückzudrängen.
Zwar verlangten die Europäer für ihre Bündnisbereitschaft immer wieder Reformen, speziell die Anerkennung christlicher Minderheit wie der Armenier, tatsächlich aber waren sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben waren. Taktik, nichts als Taktik.
Bis heute, so Bezwan, ist die Türkei keine echte Demokratie, sondern ein Staat mit von oben aufgesetzter Doktrin – ein homogener, unteilbarer, nationalistischer Staat, bestimmt durch die Vorstellung eines homogenen Staatsvolks. Die Kurden als eigenständige Minderheit haben in dieser Vorstellung keinen Platz.
Das Militär hat das Sagen und versteht es bis heute demokratische Entwicklungen zu stören. Und auch wenn die EU mit ihrem Beitrittsangebot Fortschritte provoziert hat, der Durchbruch scheitert laut Bezwan bis heute an der alten, seit Kemal Atatürks Staatsgründung 1923 fest zementierten Staatsdoktrin.
Die Doktorarbeit des Wahl-Osnabrückers Naif Bezwan endet im August 2008. Der von der Justiz provozierte Staatsstreich gegen die mit fast Zwei-Drittel-Mehrheit regierende AKP war zu diesem Zeitpunkt gescheitert. Seither ist einiges in Bewegung geraten. Sogar die kurdische Sprache steht nicht mehr auf dem Index. Und doch ist die Entwicklung hin zum multinationalen Staat eine sehr fragile.
Bezwans großes Verdienst ist es, den bis heute faschistisch erscheinenden Staat Türkei in allen Facetten abzubilden und zu erklären, wie diese Entwicklung zustandekam. Wer die Macht hat im Staate und wer nicht.
Die gesamte Studie ist sehr gut recherchiert und mit Quellen belegt. Trotzdem ist die „Türkei und Europa“ ein Buch für Spezialisten und keinesfalls für Laien geeignet.Die Widmung lässt darauf schließen, dass Naif Bezwan Kurde ist und seine Heimat verlassen musste: „Für meine Familie, die ich 17 Jahre nicht sehen konnte“.
Bewertung: ****
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