„Miss Auschwitz“ gewesen zu sein, ist das zynisch? Nein, für die damals zwölfjährige Czechna war die Begegnung mit dem ungeheuerlichen Dr. Josef Mengele die Rettung ihres Lebens, und ein innerer Wendepunkt.
„Miss Auschwitz“, so nennt sich Frau Czechna auch noch Jahrezehnte später, als sie inzwischen eine hinfällige, alte Frau in der Seniorenresidenz ihr Dasein fristet, mit Herrn Henoch, Frau Benia, Herrn Leon und all den anderen Überlebenden ihrer Generation – geplagt von der Respektlosigkeit des Pflegepersonals.
Und so kommt das Leiden im KZ wieder näher und wird glorifiziert. Mengeles einstiger „Liebling“ hatte bei dessen Experimenten sogar einen Unterarm verloren und fühlte sich in Auschwitz doch lebendiger als jetzt im Seniorenheim, wo Menschenwürde erneut keinen Stellenwert mehr hat.
Und auch ihren Mitbewohnern, deren Geschichten ebenfalls erzählt wird, geht es nicht viel besser. Das „Haus am See“, der Hospiz des Pflegeheims, wird zur Analogie des Gaskammern im KZ – was für ein verstörender Albtraum.
„Ich war Miss Auschwitz“. Mir fällt dazu die Geschichte eines Kollegen ein, Fotograf, inzwischen fast 85 Jahre lang. Als junger Mann wurde er an die Ostfront geschickt, ein Bein ist seit einem Steckschuss steif. Doch immer wieder erzählt er vom Krieg, als ob sein Leben damals stehen blieb. So ähnlich geht es Frau Czechna – nur die Perspektive ist eine andere.
Ein sehr beeindruckendes, mutiges Buch. Autorin Zyta Rudzka, 45, Nachgeborene, ist Psychotherapeutin, das erklärt auch, warum sie so tief ins Seelenleben vorrücken konnte, ohne kitschig zu werden.
Ein Appell an die Menschenwürde, auch wenn die Parallele zwischen Judenvernichtung und Seniorenruhesitz auf den ersten Blick gewagt erscheinen.
Bewertung: *****
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