Arno Luik „Wer zum Teufel sind Sie nun?“, 336 Seiten, 22 €, Antje Kunstmann, ISBN: 978-3888975592;

Interviews sind die hohe Kunst des Journalismus. Seinem Gesprächspartner nahe zu kommen, ohne ihm zu nahe zu kommen, bedingt zum einen eine gute Vorbereitung des Gesprächs durch entsprechende Recherche, zum anderen aber auch die Fähigkeit, sich auf sein Gegenüber einzulassen. Der Journalist Arno Luik beherrscht beides meisterhaft.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, das Luik Ende der 90-er als Vize-Chef der Münchner Abendzeitung geführt hatte. Seine Einstiegsfrage war der Hammer: Er fragte nach einem Datum.

Und Stoiber verstand. An jenem Tag nämlich hatte dessen heiß geliebter FC Bayern ein Europapokalspiel – ob gewonnen oder verloren, ich weiß es nicht mehr. Dadurch entstand sofort eine Nähe zwischen beiden, die den Leser mit hineinzieht und aus einem Frage-Antwort-Wechsel ein Interview macht.

Dieses Prinzip habe ich damals übernommen und praktiziere es in meiner journalistischen Tätigkeit immer wieder. Die erste Frage ist entscheidend, sie muss sitzen – bei Stoiber oder beim Lebenshilfe-Vorsitzenden.

Nach dieser Vorgeschichte ist verständlich, mt welchem Genuss ich die Sammlung von 25 Luik-Interviews gelesen habe – selbst wenn ich den Bezug auf 60 Jahre Bundesrepublik für vermessen halte.  Die Anthologie umfasst nunmal nur 18 Jahre.

Dafür ist sie vielfältig: Boris Becker 1990, gerade zum Spieler des Jahres gekürt, Stuttgarts Ex-OB Manfred Rommel, der über seine Parkinson-Erkrankung spricht oder Inge Jens, die erzählt, wie ihr Mann Walter in die Demenz abgeglitten ist. Selbst Joschka Fischer ließ sich 994 von den „linksradikalen“ Provokationen des damaligen taz-Chefredakteurs und jetzigen Stern-Autors provozieren.

Und immer wieder die erste Frage. Bei Fischer der Hinweis auf die kohlähnlich gewachsene Leibesfülle und bei Jens, wie sie sich als Witwe eines Lebenden fühle. Provokativ, aber zutreffend.

Allein neun Stunden saß Luik mit dem Schriftsteller Martin Walser zusammen, der das Interview dann doch nicht autorisierte und ein fiktives Gespräch schrieb, das diesem Buch als Nachwort dient. So wurde aus dem Scheitern Luiks oder besser Walsers doch noch ein Erfolg.

Ein lesenswertes Buch, ein Sahnestückchen des zurzeit viel gescholtenen Qualitätsjournalismus und irgendwie doch ein Blick auf 60 Jahre Bundesrepublik.

Bewertung: ****

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Lauter Lesenswertes

25 Mal Leben in diesem, unseren Land

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