Olga Flor „Kollateralschaden“, 208 Seiten, 17,90 €, Zsolnay, ISBN: 978-3552054400;
Dass eine Schriftstellerin ihren Roman mit einem Ausdruck titelt, der vor zehn Jahren mal das Unwort des Jahres war, weil die Nato-Militärs mit Kollateralschaden die zivilen Opfer im völkerechtswidrigen Kosovo-Krieg beschrieben, das macht neugierig. Und das es Olga Flors dritter Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2008 schaffte, auch. Und siehe da, ich wurde nicht enttäuscht!
Der Supermarkt als Ort, an dem sich menschliche Tragödien abspielen, ein Ort des Habens und des Seins. Die Stunde zwischen 16.30 und 17.30 Uhr hat sich Olga Flor vorgenommen, in ihrem fast wie ein Gemälde wirkenden Roman. Wie so viele Österreicher (auch die Filmemacher) ist die Wienerin eine präzise Beobachterin des Alltags. Manchmal verliert sie sich dabei im Klischee.
Ganz normale Menschen begegnen uns in dieser blauen Stunde eines alltäglichen Nachmittags, Leute, die eigentlich nichts gemein haben und deren Schicksale doch für einen Augenblick miteinander verknüpft sind.
Journalist Ernst etwa, der so gerne Karriere gemacht hätte und wohl Lokalreporter bleiben muss; die figurbewusste Doris, 29, oder der ehemalige städtsiche Angestellte Horst, der sich nun um seine pflegebedürftige Frau kümmert.
Man erlebt diese Charaktere minutenweise, dann springt die Autorin zum nächsten. Was angesichts ihrer kunstvollen Sprache eingängig bleibt. Analytisch scharf zeichnet sie ihre Alltagshelden nach, mit lebenskundigem Blick auf deren Schwächen und deren Bedürfnisse. Ein Spiegel der westlichen Konsumkultur und der innewohnenden Sehnsucht nach Menschlichkeit.
Eine wirkliche Handlung hat dieser Roman nicht, er ist eine Groteske der Gewöhnlichkeit. Nur der Jugendliche Mo, passt nicht ins Bild, als er um 17:18 Uhr auf seinem „Parkour“ durch den Supermarkt die Stille des Konsums stört. „Dann also das bisschen Anlauf und mit zwei Schritten über die Krapfen, keine Schaumrollen heute, nur Krapfen, dann hinauf, und die Muskeln arbeiten glatt, kraftvoll und sauber, brachten ihn hinauf.“
Kein Kollateralschaden, denn jeder ist hier kollateral, also nebensächlich. Das Experiment auf gut 200 Seiten ist gelungen.
Bewertung: *****