Unglaublich, wie Frauen leiden können

André Brink „Die andere Seite der Stille“, 400 Seiten, 19,90 €, Osburg, ISBN: 978-3940731074;

brink

Schon lange hat mich kein Roman mehr so gepackt und mitgenommen wie dieser. Dabei ist „Die andere Seite der Stille“ grausam, brutal und karg. Das Buch erschließt ein Stück unbekannter deutscher Geschichte. Der südafrikanische Schriftsteller André Brink, hierzulande leider relativ unbekannt, wird zu Recht immer wieder mit dem Nobelpreis in Zusammenhang gebracht.

Wer an Namibia denkt, dem fallen Wüste und Hitze ein, der denkt vielleicht noch an die Jagd, an Diamanten und vor allem an einzigartige Naturschönheiten. Für die hatten die deutschen Siedler und Soldaten, die sich um die Wende zum 20.  Jahrhundert das südwestliche Afrika im Namen des Kaiserreichs untertan machten, allerdings keinen Sinn.

Sie sensten sich durch das Land, machten nieder, was sich nicht unterwarf, raubten, brandschatzten, vergewaltigten und mordeten. Und wenn dann Eingeborene wie die Hereros in ihrer Verzweiflung  Widerstand leisteten, dann wurden sie mit Kanonengewalt in die Omaheke-Wüste getrieben, wo sie elendiglich verdursteten.

In Deutschland ist diese Geschichte bis heute kaum aufgearbeitet. Erst zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Hereros 2006 kam so etwas wie eine öffentliche Diskussion auf, und in München zum Beispiel bekam die nach General Lothar von Trotha benannte Straße einen neuen Namen.

Bei dem Südafrikaner Brink geht es indes nicht um Militärgeschichte, sondern um das Schicksal der Hanna X., aufgewachsen, vergewaltigt, misshandelt in einem Waisenhaus in Bremen, anschließend mehrere „Haushälter“-Stellen: missbraucht und misshandelt, auf dem Schiffstransfer nach Deutsch-Südwestafrika missbraucht, bei der Weiterfahrt nach Windhuk missbraucht und schrecklich misshandelt.

Kaum zu glauben, was dieser Mensch aushalten musste. Aber irgendwann ist es zuviel. Und sie schlägt zurück …

Dies ist ein Roman über misshandelte Frauen, aber vor allem ist es eine Eloge an die Stärke der Frauen. Ein erstaunliches Buch, geschrieben mit einer Inbrunst und in einer kraftvollen Sprache, die ich bisher selten erfahren habe.

Es schadet der Geschichte auch nicht, dass sie nach der absolut realistischen Darstellung des wilhelminischen Deutschlands und der Zustände in Afrika im zweiten Teil ins Mythische weggleitet. Zu präsent ist Hannas in vielen Rückblenden erzähltes Leid, um das Durchdrehen nicht irgendwie verständlich werden zu lassen.

Erstaunlich, dass es sechs Jahre dauerte, dass sich ein deutscher Verleger für den Roman fand. Erstaunlich und beschämend zugleich, denn immerhin wird hier deutsche Geschichte erzählt von einem Autor, der als literarischer Kämpfer gegen Apartheid schon vor Jahrzehnten Weltruhm erlangte. Umso anerkennenswerter ist, dass der (kleine) Osburg-Verlag das Buch herausbrachte, noch dazu gefühlvoll übersetzt von Michael Kleeberg.

Ein Wahnsinnsbuch – jedenfalls für mich als bekennenden Namibia-Fan!

Bewertung: *****

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