Bettina de Cosnac „Gisèle Freund – Ein Leben“, 297 Seiten, 24 €, Arche, ISBN: 978-3716023822;

100 Jahre alt wäre sie vor einem knappen halben Jahr geworden, am 19. Dezember 2008. Aus diesem Anlass veröffentlichte der Arche-Verlag eine detailreiche Biografie der berühmten Porträtfotografin und Fotojournalistin Gisèle Freund, die im ersten Viertel ihres Lebens noch Gisela Sophia Freund hieß.

Emigrantenschicksale zu erzählen, ist in den letzten zehn Jahren ziemlich hip geworden. Das 20. Jahrhundert mit seinen Weltkriegen, den Genoziden, den Zusammenbrüchen und den Konfrontationen der Ideologien ist reich davon.

Von den Manns, den Einsteins und wie sie alle heißen, unterscheidet Gisèle Freund allerdings die Tatsache, dass sie als Frau sich durchsetzen konnte und in ihrem Schaffensdrang nicht gebremst wurde.

Die in Berlin-Schöneberg geborene Tochter eines jüdischen Kaufmanns und Kunstsammlers verließ mit 16 Jahren schon das großbürgerliche Milieu ging auf eine Schule für Arbeiterkinder, auf der sie Abitur machte, studierte in Frankfurt Sozial- und Kunstgeschichte, unter anderem bei Karl Mannheim, Norbert Elias und Theodor W. Adorno.

Da war die lebensprägende Leidenschaft für die Fotografie längst entfacht. Für ihre Dissertation befasste sie sich mit der Geschichte der Fotografie inFrankreich, und mit der Leica, die ihr ihr Vater zum Abitur geschenkt hatte – sie war die moderne Kamera der damaligen Zeit – finanzierte sie sich das Studium, unter anderem durch Fotos für das gerade gegründete Magazin „Life“.

Allein auf sich gestellt, hilft ihr in Paris ein anderer berühmter Emigrant.  Walter Benjamin verschafft ihr Zutritt zu berühmten Freunden. Die Fotos vermarktet sie – ein gelungener Neuanfang für die junge Frau.

Und dann trifft sie die Kulturmanagerin Adrienne Monnier, die sie mit Künstlern wie  Jean-Paul Sartre, George Bernhard Shaw und  T.S. Eliot bekannt macht. Doch ein zweites Mal spielt ihr die Weltgeschichte dazwischen. Aufgrund des deutschen Einmarschs in Frankreich emigriert sie nach Argentinien und muss eine neue Sprache lernen, spanisch.

Selbst nach Kriegsende endet ihre Wanderschaft nicht: In den USA fühlt sie sich wohl, in Frankreich lebt sie und in Deutschland wird sie verehrt. Vor allem seit den 1970er Jahren gestaltet sie international beachtete Fotoausstellungen. 2000 starb Gisèle Freund.

Das Leben als Abenteuer. Die in Paris lebende Journalistin Bettina de Cosnac zeichnet dieses ungestüme Schicksal anhand von Gesprächen mit Zeutzeugen, Archivmaterial, Briefen und privaten Fotos nach.

Bisweilen ist ihre Sprache etwas schlicht, und sie wiederholt sich. Trotzdem gelingt es ihr, eine längst vergangene Zeit nachfühlbar zu machen.

Wer allerdings Beispiele von Gisèle Freunds Kunst erwartet, wird enttäuscht. Der muss zu den „Photographien und Erinnerungen“ greifen, die der Verlag Schirmer/Mosel im vergangenen Jahr wieder aufgelegt hat.

Bewertung: ****

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