Lukas Bärfuss „Hundert Tage“, 197 Seiten, 19,90 €, Wallstein, ISBN: 978-3835302716;

Die Grenzen zwischen gut gemeint und schlecht gemacht sind fließend. Und auch Schopenhauer wusste schon: „Zu allen Zeiten ist viele und gute Moral gepredigt worden.“ In diesem Sinne stellt Lukas Bärfuss in seinem „Hundert Tage“ über den Genozid in Ruanda die westliche (Entwicklungshilfe-)Politik schlechthin in Frage.

Der Roman des Schweizer Dramaturgen ist keine moralinsaure Anklage an sein Heimatland Schweiz, er schildert die Katastrophe in dem zentralafrikanischen Land aus der Perspektive eines jungen, ziemlich naiven Schweizer Entwicklungshelfers. Gerade dies macht die Geschichte so politisch.

Bärfuss sei ein Nestbeschmutzer hat man in der Schweiz nach Erscheinen des Romans lesen können. Und in der Tat, die Übersetzung des Grauens, bei dem bis zu einer Millionen Angehörige des Volkes der Tutsi von ihren vormaligen Nachbarn, den Hutus, abgeschlachtet wurden, gelingt sehr eindrücklich aus der persönlichen Perspektive.

Es fehlen aber nicht die Anklagen gegen eine Entwicklungspolitik, die die Vergangenheit ebenso wenig kennt wie die Gegenwart vor Ort, sondern geleitet ist von den Vorstellungen der Almosengeber im Westen. Und es geht nicht um die Schweiz, David Hohl könnte ebenso gut von Deutschland aus nach Kigali geschickt worden sein.

Der Mann ist völlig irregeleitet und er hört die Signale nicht. Aus Liebe zu Agathe lässt er nach Beginn der Massaker den letzten Flug nach Hause sausen, um sich hundert Tage lang im Garten seines Wohnhauses zu verstecken, abhängig von der Gunst eines ehemaligen Angestellten, der ihn nachts versorgt und tagsüber mordet. David verstrickt sich immer tiefer, am Ende ist er völlig gebrochen – ohne jede Humanität.

Das ist die eine, die menschliche Seite der Geschichte. Sie ist Vehikel für Bärfuss eigentliche Anklage. Erst Europa schuf nämlich mit seinem Kolonialismus und dem anschließend schlechten Gewissen, das die Mächtigen in Afrika stets zulasten der wirklichen Bedürftigen ausnutzen, die Grundlagen für Ereignisse wie den ruandischen Völkermord.

Die Eruopäer liefern die Waffen (und wenn dies nur durch den Export ihrer Bürokratie erfolgt). Dann schauen sie einfach zu und – welch ein Bild – waschen ihre Hände in Unschuld. Diese hat ihnen Lukas Bärfuss genommen. Ein Roman, der unter die Haut geht.

Bewertung: *****

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Lauter Lesenswertes

Wir sind schuld am Völkermord

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