Sofja Tolstaja „Eine Frage der Schuld“ , 320 Seiten, 19,90 €, Manesse, ISBN: 978-3717521501;

Im Journalismus gilt eine eherne Regel: Trau nie einer Quelle, befrage immer auch eine zweite. Also, glaube nicht an die Ehehölle, wie sie Leo Tolstoi in der „Kreutzersonate“ beschreibt, sondern lese dazu auch das kleine, aber feine Büchlein seiner Ehefrau Sofja Tolstaja „Eine Frage der Schuld“.

Ich mag die Bücher der „Manesse Bibliothek der Weltliteratur“: Handliches Format, aber wunderbar editiert und vor allem – ausgezeichnete Übersetzungen. So auch bei Sofja Tolstaja. Man mag den blöden Spruch von der starken Frau hinter dem erfolgreichen Mann ja nicht immer wieder bemühen, aber gerade bei dem russischen Volksdichter Tolstoi war ja schon immer gemutmaßt worden, dass die Ehefrau literarisch ähnlich was los hatte wie er.

50 Jahre waren die beiden verheiratet. Leo Tolstoi zufolge war die Ehe die reine Hölle. Sofia war zänkisch. misstrausich und chronisch eifersüchtig. Auf der anderen Seite bewährte sie sich als Chefin des luxuriösen Gutshofs, als Mutter und schrieb allein ihres Mannes Mammutwerk „Krieg und Frieden“ sieben Mal eigenhändig ab.

1891, im 19.  Ehejahr, veröffentliche Leo Tolstoi seine berühmte „Kreutzersonate“. Diese habe, so schreibt die Tolstaja kurz darauf in ihrem Tagebuch, „mich vor den Augen der ganzen Welt verletzt und die letzten Reste von Liebe zwischen uns zerstört“. Sie war vor allem sauer, dass ihr Leo Enthaltsamkeit predigte, von ihr aber lauter unaussprechliche Dinge verlangte: Immerhin 16 Mal war sie schwanger, 13 Kinder wurden geboren.

Sie ließ es sich nicht gefallen und schrieb 1889 „Eine Frage der Schuld“ – nicht ihr erstes Werk, aber die anderen hatte sie vor der Hochzeit vernichtet. Ihr Roman ist nicht einfach die Antwort auf die Geschichte ihres Mannes. Sie schildert eine andere Realität von Ehe im zaristischen Russland, aus pespektive der Frau.

Nach allen Regeln der Kunst hat Fürst Prosorski (35) um die 18-jährige Anna geworben, kaum aber ist die Ehe geschlossen, ist sie für ihn nur noch ein Ding. Die junge Frau, ausgeliefert dem Ehemann und dessen eifersüchtiger Mutter, auf einem einsamen Gut fernab von Familie und Freunden, steht vor einem fürchterlichen Dasein – Arbeitskraft und Gebärmaschine.

Erst in der platonischen Beziehung zu einem todkranken Nachbarn erlebt Anna eine glückliche Zeit und ihr Ideal einer geistigen Beziehung.  Doch der Fürst reagiert mit Eifersucht und Vorwürfen. Diese Katastrophe von Ehe endet tragisch – natürlich. Genauso tragisch ist, dass es fast 100 Jahre dauerte, bis dieses wunderbare Stück Literatur erstmals, in Russland, veröffentlich wurde.

Bewertung: *****

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Lauter Lesenswertes

Die zwei Seiten einer schwierigen Ehe

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