„Der Tod macht das Leben klarer“, hat der Philosoph Wilhelm Schmid vor zwei Wochen in einem Interview mit dem Magazin „Spiegel“ gesagt. Klarheit im Leben ist auch das Thema dieses Romans über das Sterben einer 68-jährigen, krebskranken, unzufriedenen Frau. Die Begegnung mit einem geistlichen Lehrer in Tibet öffnet ihr Herz für einen anderen Zugang zum Tod.
Ulli Olvedi, Jahrgang 1942, ist Fachfrau für dieses schwierige Thema. Die im Landkreis Landsberg lebende Schriftstellerin, Übersetzerin und Filmemacherin ist Mitbegründerin der „Akademie Panta Rhei für einen neuen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer“ in Inning.
Seit fast 40 Jahren beschäftigt sie sich mit dem tibetischen Buddhismus. In Kathmandu/Nepal hat sie eine Hochschule für traditionelle tibetische Medizin mitgegründet. Sie lehrt QiGong und „Meditative Energiearbeit“. „Über den Rand der Welt“ ist ihr fünfter Roman.
Nora weiß, dass sie sterben wird. Als eine Art Vermächtnis schreibt sie ihrer Schwester Lisa Briefe, die diese erst nach ihrem Tod öffnen soll. Es ist die klassische Geschichte: Lisa war immer die hübschere, die bevorzugte Schwester. „Mir kam der Gedanke, dass ich mein Leben in einem inneren Zimmer verbracht habe, in dem die Schränke vollgestopft waren mit Schuldgefühlen“, heißt es in einem der Briefe.
Sie hat es nie geschafft, sich von ihrer Familiengeschichte zu lösen. Noras Leben verlief unglücklich. Männergeschichten, die nichts brachten, sie hat keine Kinder, obwohl sie zu ihrem Neffen, den sie kurz vor ihrem Tod noch kennenlernt, mütterliche Gefühle entwickelt.
Diese Aussöhnung mit dem eigenen Ich erfährt sie in Nepal, wo sie mit ihrer Freundin Wangmo, einer Exiltibeterin, hinfliegt, um ihren Rinpoche, ihren spirituellen Lehrer, zu treffen. Durch ihn erfährt die Todkranke, dass man stirbt, wie man gelebt hat: so weise oder ignorant, so mitfühlend oder kalt, so friedlich oder aggressiv.
Dieses Wissen ermöglicht ihr nach der Rückkehr, sich offen und ehrlich mit ihrem Tod auseinanderzusetzen und die Dämonen der Vergangenheit zu versöhnen. Ihr Sterben ist friedlich: Umgeben von ihren Freundinnen wird Nora zu Hause gepflegt, ihr Sarg steht im Krankenzimmer und wird gemeinschaftlich bemalt.
Ein optimistisches Buch, das eine andere Perspektive öffnet. Empfehlenswert!
Bewertung: ****
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