Krematorium für eine ganze Gesellschaft

Rafael Chirbes „Krematorium“, 432 Seiten, 22 Euro, Antje Kunstmann, ISBN: 978-3888975219;

Als ob Rafael Chirbes geahnt hätte, dass die Finanzmärkte zusammenbrechen: „Krematorium“, der Abschluss seines dreiteiligen Porträts der spanischen Gesellschaft, ist eine Abrechnung mit einem ausufernden, menschenfeindlichen Kapitalismus, erzählt aus der Perspektive einer Familie – einer kaputten Familie.

„Du liegst auf einem Laken, auf einer dünnen Metallplatte oder auf Marmor. Ich sehe dich vor mir. Sehe dich wieder.“ Angesichts des Todes seines Bruder Matías blickt Rubén Bertomeu auf sein Leben zurück. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können: Der ehemalige Revolutionär Matías wurde Biobauer, sein ebenfalls sozialistischer Bruder ein erfolgreicher Bauunternehmer.

Der reiche Mann sammelt allerlei Geschmeiß um sich: seine zweite Frau Mónica, jung und karrieregeil, seine unglücklich verheiratete Tochter, und weitere mehr. Sie eint, dass sie Rubéns Geld begehren und ihn gleichwohl verachten. Die Familie, von der Chirbes da erzählt, ist bis in die Grundfesten hinein korrupt und verdorben.

Ohne Skrupel pflastert Rubén Bertomeu die spanische Küste mit seinen Ferienprojekten  und den Schnellstraßen allüberall zu. Wie Geschwüre frisst sich der Beton über einstmals unberührte Küstenhügel. durch . Sein Streben nach Geld geht zu Lasten der Landschaft. Der Bauunternehmer handelt rücksichtslos, er plündert, opfert seine Freunde und belächelt deren Wünsche und Ideen.

Ein zutiefst trauriges, ja deprimierendes Buch.  Rafael Chirbes ist stark in Worten und Bildern, er zerstört  linke und liberale Worthülsen und stellt das heutige Spanien in Frage.  Matías, der Idealist, landet nicht allein im Krematorium, dort endet auch die auf Wohlstand gierende spanische Gesellschaft.

Dabei erzählt der Romans von einem einzigen Tag: der Zeit zwischen Matías‘ Tod und der Verbrennung der Leiche im Krematorium. Die Sprache ist äußerst kraftvoll: „Wachstum bedeutet Zerstörung (…) Wachsen heißt, immer weiter wachsen, und Bauen heißt, immer weiter zu zerstören. Man zerstört, um etwas bauen zu können.“

Bewertung: ****

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