Peter Orner „Die Wiederkehr der Mavala Shikongo“, 344 Seiten, 21,50 €, Hanser, ISBN: 978-3446230606;

Was für Ostdeutschland der Fall der Mauer und für Gesamtdeutschland die Wiedervereinigung im Oktober 1990, das ist für Namibia der Befreiungskrieg und die Staatsgründung im März 1990. Nicht von ungefähr, dass beide geschichtlichen Einschnitte fast zur selben Zeit stattfanden. Nur, bis heute ist der namibische Bürgerkrieg ein Tabuthema in Namibia.

Erstaunlich, dass es ausgerechnet ein amerikanischer Lehrer ist, der das Thema aufarbeitet – auf seine Weise. Seit der Staatsgründung wird das einstmals unter südafrikanischem Apartheid-Protektorat von der damals marxistischen Befreiungsarmee Swapo regiert. Sie kämpfte damals von Angola aus in Guerilla-Taktik gegen die weißen „Landesverteidiger“.

Übergriffe waren in diesem in Europa weitgehend unbeachteten Krieg an der Tagesordnung – auf beiden Seiten. Nach der Befreiung wurden die Gegensätze in dem Vielvölkerstaat unter den Tisch gekehrt. Tatsächlich besetzt das Mehrheitsvolk der Ovambos inzwischen fast alle Schlüsselstellungen, das Nachsehen haben die bis heute wirtschaftlich dominierenden Weißen, aber auch schwarze Minderheiten wie Hereros, Nama, Damara und San (Buschmänner).

„Namibia schaffte es nie in die BBC-Nachrichten“, schreibt Orner. Der amerikanische Lehrer Larry Kaplanski ist 1991 der einzige Weiße in Goas, einem Gott verlassenen Nest im Nirgendwo in der Halbwüste. Mavala Shikongo kehrt in ihr Heimatdorf zurück, sie ist ebenfalls Lehrerin – und sie kämpfte für die Unabhängigkeit. Für die Männer in ihrem Dorf hat sie nur Verachtung übrig.

Und so bleiben diese schmachtend zurück, erzählen Geschichten, weil sie nichts anderes zu tun haben in dieser Einöde, in der nichts passiert und sich doch die ganze Welt widerspiegelt. Nur manchmal treffen sich Kaplanski und Skikongo nachts auf dem alten Friedhof und machen Liebe, ohne sich menschlich wirklich nahe zu kommen.

In vielen kleinen Kapiteln berichtet Orner, der selber als Lehrer in Namibia arbeitete, vom Nichts. Ungeheuer poetisch, aber auch langsam fließend. Orners Thema ist die Unmöglichkeit der Verständigung, das Festhalten an vertrauten Gegensätzen. Detailreich, voll Wissen und Verständnis und mit einem präzisen Blick auf das große Ganze schildert er Lebensläufe der Menschen in diesem Dorf.

So unspektakulär wie die Geschichten, so lakonisch ist auch das Ende des 300-Seiten-Romans. Mavala Shikongo verlässt das Dorf und verschwindet ins Nirgendwo, Lehrer Kaplanski kehrt zurück nach Ohio: „Ich habe ihr Gesicht nicht mehr richtig vor Augen. An ihre Hände, die nicht klein waren, kann ich mich besser erinnern, daran, wie diese Hände einmal meine Füsse als Geiseln nahmen und sie rieben, und ich verfluchte sie dabei.“

Ein wunderschönes Buch für jene, die Afrika im Allgemeinen und Namibia im Besonderen lieben.

Bewertung: *****

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Lauter Lesenswertes

Die visionäre Kraft kommt aus dem Nichts

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