Eigentlich kennt man sie als Schauspielerin. Seit sie ihren ersten Roman („Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“) veröffentlichte, ist sie auch als Schriftstellerin erfolgreich – Renan Demirkan, eine der bekanntesten Deutsch-Türkinnen. „Septembertee“ ist ihre Autobiografie, ein beeindruckendes Zeugnis des Lebens am Rand unserer Gesellschaft.
„Am Rand“, das schreibt sie selber, und das klingt fast wie der gleichnamige Roman von Sebnem Isigüzel, geschrieben vom Leben auf einer Müllkippe in Istanbul. Demirkan zitiert Marcel Reich-Ranicki, den legendären Kulturkritiker, der einmal auf die Frage sagte, was er sich wünsche, wenn er noch einmal wiedergeboren wurde, er möchte, in der Mitte der Gesellschaft leben.
Demirkan, Jahrgang 1955, ist dort bis heute nicht angekommen. Das Gastarbeiterkind, das als Siebenjährige in Hannover ankam, fürchtete, nach dem Abitur wieder zurück zu müssen in eine Heimat, die nicht ihre Heimat war, deren Sprache, sie nicht einmal beherrschte, in die Türkei. Dabei war „Surük“ das Lieblingswort ihrer Mutter.
Deren Tod vor drei Jahren brachte Renan Demirkan dazu, ihr ganzes Leben noch einmal zu überdenken. „Wer seine Mutter verliert, verliert eine ganze Welt“, heißt es in Renans Familie. Mit Vater und Schwester begleitet sie den Leichnam ihrer Mutter in deren Heimatdorf. Die Trauer ihrer tscherkessischen Verwandten, die sie nicht kennt und deren Mentalität ihr fremd ist, macht ihr offenkundig, dass sie weder hier noch dort wirklich zuhause ist: Am Rand.
Renan Demirkan erzählt von ihrer Kindheit, von ihren entgegengesetzten Eltern, der Mutter, die unaufhörlich arbeitet und sich um die Familie kümmert, den Vater, einen stillen Intellektuellen, der aus politischen Gründen sein Land verließ, sich für (deutsche) Literatur, Beethoven, Schach und Uhren interessiert und doch nach dem Tod seiner Ehefrau und 45 Jahren in Deutschland zu dem Schluss kommt: „Die haben uns hier nie gewollt. Und die werden uns hier auch nie haben wollen, nie.“
Renan Demirkan ist eine begnadete Erzählerin. In rasantem Tempo gibt sie dem (deutschen) Leser Einblicke in ihr Innenleben und in das Schicksal einer „Deutschen mit Migrationshintergrund“, die vier Stufen der Aufenthaltsberechtigung miterleben musste, in einem Land, das sie als das Ihre betrachtete, in dem sie ihren von der türkischen Familie unterdrückten Pubertätsaufbruch nachholte in WGs voll Anarchie und Drogen – auch das empfand sie nicht als ihre Welt.
Die bisher tiefgründigste und ehrlichste Biografie, die ich bisher von einer Deutschtürkin gelesen habe. Ein Leben auf der Suche nach der eigenen Identität.
Bewertung: *****
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