Die Wahrheit über die Türkei, das versprechen zurzeit alle möglichen Bücher. Jürgen Gottschlich löst dieses Versprechen ein – „jenseits der Klischees“. Er schildert und erklärt Geschichte, Alltag und Traditionen der Türken so, dass sie das Verständnis diesseits des Bosporus stärken.
Jürgen Gottschlich weiß, wovon er schreibt. Seit zehn Jahren lebt er nun als Korrespondent in Istanbul, berichtet für die TAZ, die Badische Zeitung und den Standard in Wien. Zuvor war der 54-jährige Journalist Mitbegründer der Berliner TAZ, arbeitete sich dort bis zum stellvertretenden Chefredakteur vor. In gleicher Position war er für die inzwischen eingestellte Wochenpost tätig.
Sein „Land jenseits der Klischees“ ist so eine Art journalistischer Reiseführer. Ganz wichtig ist ihm die „deutschen Missverständnisse“ aufzuklären. Sie verwundern nicht, ist doch die Türkei so unglaublich vielfältig, klimatisch, kulturell und in den Traditionen.
Dass Istanbul mit seinen geschätzt 15 Millionen Einwohnern die größte Stadt Europas ist, erscheint Gottschlich als Selbstverständlichkeit. Denn historisch betrachtet hatten die Türkei respektive das Osmanische Reich und Europa seit 1000 Jahren enge Beziehungen.
Ganz besonders eng waren die Verbindungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem „kranken Mann am Bosporus“. Nicht nur dass Wilhelm II. zwei Mal auf Staatsbesuch in Istanbul war, deutsche Militärs rüsteten ihre osmanischen Kollegen auf, die mitansehen mussten, wie ihnen die Großmächte England, Frankreich und Russland kriegerisch zu Leibe rückten.
Auch die deutsche Wirtschaft war zu jener Zeit äußerst engagiert in der heutigen Türkei, ein beredtes Zeugnis liefert bis heute die berühmte Bagdadbahn. Gottschlich schildert all dies ohne falsches Pathos, immer bestrebt aus der Perspektive des Berichterstatters die Fakten richtig zu ordnen und sie von Vorurteilen zu befreien.
Das gilt auch für die gegenwärtige Situation, die in ihrer Widersprüchlichkeit so schwer zu verstehen ist, von Gottschlich aber gut erklärt wird. Dass die Türkei zur EU gehören sollte, sagt der Journalist nicht. Dass sie diese Option haben muss, sehr wohl.
Die Tatsache, dass sie – und das war für mich neu – dass sie 1978 parallel zu Griechenland hätte Mitglied werden können, wirft auf die Scheinheiligkeit heutiger Debatten ein anderes Bild. Denn ganz sicher war das Land damals nicht so weit entwickelt wie heute. Der dem Westen kritisch gegenüber stehende Staatschef Bülent Ecevit lehnte ab – eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen.
Glückwunsch! Dieses Buch ist ein Reiseführer, der den Reisenden mit dem Land vertraut macht, nicht oberflächlich, aber auch nicht zu schwer – einfach guter Journalismus eben.
Bewertung: *****
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