Adalet Agaoglu „Sich hinlegen und sterben“, 512 Seiten, 22,90 €, Unionsverlag (Türkische Bibliothek), ISBN: 978-3293100121;
„In einem Land ohne freie Frauen ist auch der Mann nicht frei.“ Kemal Atatürk, türkischer Staatsgründer, hat diesen Ausspruch getan. Tatsächlich ist die Türkei von Beginn an ein ungewöhnlich gleichberechtigter Staat. Adalet Agaoglu, Jahrgang 1929, gehört zur ersten Generation beruflich-erfolgreicher Frauen.
„Sich hinlegen und sterben“, 1973 erstmals erschienen, entstand unter dem Eindruck der 68er-Unruhen in der Türkei. Linksgerichtete Studenten protestierten gegen die ältere Generation – ähnlich wie in Westeuropa – und für mehr Demokratie. Agaoglu, höchst erfolgreich als Drehbuchautorin und Funktionärin beim staatlichen Hörfunk, gerät ins Zweifeln: Was hat sie, was hat ihre Generation falsch gemacht?
Die Geschichte ihres ersten Romans ist höchst modern: Die Hochschullehrerin Aysel steckt tief in der Krise. Ihren Mann will sie nicht mehr, sie hat ihn mit einem Studenten betrogen und denkt nun ans Sterben. Davor aber lässt sie ihr Leben noch einmal Revue passieren.
Es steckt viel Autobiografisches in diesem in der Türkei erfolgreichen, aber auch umstrittenen Roman. Anti-Kemalismus warf man Agaoglu vor, zu Unrecht wie Nachwort-Autorin Erika Glassen schreibt. Egal, Aysels Geschichte erscheint exemplarisch für die Türkei der Jahre 1938 bis 1968.
Der berufliche Erfolg Aysels hat seinen Preis. Das ist vom allem der Widerspruch zum tradierten Rollenbild der islamischen Kultur, der die Dozentin an ihrer Weiblichkeit zweifeln lässt. Erst als sie die Wirklichkeit erkennt, ist sie unabhängig von den Konsequenzen wirklich frei – nicht nur im Sinne Atatürks.
Ein wichtiger Roman für die Türkei. Keine leichte Kost.
Bewertung: ****
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