50 Jahre nach Gründung des Staates Israel beginnt auch dort eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Anfängen. Die führen fast immer nach Europa. Etwa der „Familienroman“ (so der Originaltitel) der Nomi Keller, Mitte 40, Verlegerin in Tel Aviv. Bei einer Reise zu ihrem Liebhaber nach Wien stößt sie auf die Spuren ihrer Vorfahren, präziser ihrer Großmutter Ruth.
Wien ist geradezu gepflastert mit Spuren der Kellers. Die Tagebücher der lange verstorbenen, alten Dame, die ungelesen auf ihrem Speicher vor sich hin moderten, offenbaren Nomi eine faszinierende Familiengeschichte. Ihre Großmutter, eine starke Frau und eine Rabenmutter. Für ihre Leidenschaft zu ihrem Geliebten Robert verlässt sie die Monotonie des Alltags und vernachlässigt Mann und KInd.
Es sind die „Roaring Twenties“, die rauschenden 1920er Jahre. Wenig später ist alles vorbei.Die Nazis kommen in Deutschland an die Macht, Österreich wird angeschlossen. Ruths Liebhaber Robert Keller emigriert nach Palästina, auch Ruth und ihre Familie folgen.
Die Liebenden treffen sich wieder – im ungeliebten Exil. Aber es wird nichts wieder, wie es war. Enttäuschungen, Krisen und Schuld, ja vor allem Schuld, bestimmen das weitere Leben von Ruth Keller, die im späteren Israel eine Fremde bleibt.
Tochter Anouschka folgt – wie kann es anders sein? – dem Beispiel ihrer Mutter. Ihre Leidenschaft zum Ex-Liebhaber der Mutter mündet in eine Katastrophe. Deren gemeinsame Tochter Nomi wird von der altersweise gewordenen Großmutter erzogen.
Ruths Ehemann Otto ist längst nach Deutschland zurückgekehrt, der Schwager Hansi hat einen Verlag gegründet (den Nomi übernimmt). Die Familie kommt endlich zur Ruhe.
Ein packender Roman, sehr feinsinnig erzählt. Und endlich einmal eine deutsch-jüdische Geschichte, in der nicht der Holocaust im Mittelpunkt steht, sondern die Leidenschaft und das Irren dreier starker Frauen.
Edna Mazya, Jahrgang 1949, die in ihrer Heimat Israel vor allem als Theaterautorin bekannt ist, schrieb ein lesenswertes Buch.
Bewertung: ****
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