Warum haben es Türken so schwer in Deutschland? Können sie nicht … wollen sie sich nicht integrieren? Sie wissen es nicht? Nilgün Tasman schon. Die 40-Jährige ist gebürtige Türkin und aufgewachsen in Deutschland. Sie kennt beide Welten aus dem effeff. Und sie erzählt die Geschichte, wie sie für sich Brücken gebaut hat zwischen den Welten. Nicht mit erhobenem Zeigefinger tritt Tasman auf, auch nicht wertend, nein, sie ist die pure Unschuld, unverbildet und offen. Die mit (deutschem) Mann und vier Kindern in Stuttgart lebende Psychologin schafft es mit bemerkenswerter Leichtigkeit die Perspektive der kleinen Nilgün einzunehmen.
Sie erzählt von ihrem Unverständnis über die gegenseitigen Vorurteile des deutschen Nachbarn und ihrer Eltern. Anrührend berichtet sie von der Ohnmacht, als die katholische Kindergartenschwester sie als „Muselmanin“ misshandelt und es beim eintägigen Gastspiel als Kindergartenkind bleibt.
Am interessantesten für deutsche Leser ist „Ich träume deutsch“ durch die Schilderungen des Alltags in der anatolischen Familie – geprägt durch mittelalterlich anmutende Traditionen und einen Volksislam, der dann problematisch wird, wenn er dazu führt, dass Männer ihre Frauen schlagen und meinen, das sei eben so.
Auch die aus unserer christlich-westlichen Perspektive so fragwürdige Verheiratung von Kindern („Mädchen werden als Bräute geboren“) wird beschrieben als Teil der ländlichen Kultur Anatoliens, und der noch unverständlichere, weil Frauen verachtende Ehrbegriff dieser patriarchalischen Gesellschaft.
Nilgün Tasman erzählt dies alles wunderbar leicht, fast poetisch – auch wie sie bei ihrem 17-monatigen Gastspiel bei der türkischen Oma die dortige Kultur schätzen lernt. Das kindliche Fazit: „Deutschland roch nach Brezeln, gegrillter Wurst und Parfum, die Türkei nach Zimt, Knoblauch und Fladenbrot. Und ich hätte am liebsten alles gehabt.“
Hat sie auch, denn als Teenager erlebt sie ihr Coming-Out – die ersehnte Brücke zwischen Orient und Okzident. Und heute fühlen sich ihre Kinder bei der türkischen Oma genau so wohl wie bei ihrer deutschen, wie Tasman in einem „You-Tube“-Beitrag erzählt.
Eine geglückte Integration und ein wundervolles Buch. Ich hab’s in einem Rutsch durchgelesen.
Bewertung: *****
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