Der Geschichte kommt man auch in Schweigen nicht aus

Hans Lebert „Die Wolfshaut“, 557 Seiten, 24,90 €, Neuer Europa Verlag, ISBN: 978-3866955400;

In diesem Buch geht es um Verdrängung und Schuld, um Nichtkonfrontation mit dem eigenen Versagen, um den Krieg. Also etwas ganz Alltägliches? Hans Leberts 1960 erstmals erschienener „Antiheimatroman“ ist genauso sprachgewaltig wie beeindruckend – ein leider bis heute sehr unterschätztes Zeugnis österreichischer Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg.

Hans Lebert, gebürtiger Wiener, Jahrgang 1919, hatte eine Karriere als Opernsänger vor sich, als der Krieg dazwischenkam. Der Einberufung zur Wehrmacht entzog er sich, musste aber wegen Wehrkraft-Zersetzung drei Monate in Haft. Nach Kriegsende arbeitete er ausschließlich als Schriftsteller. 1993 starb Lebert nach längerer Krankheit und Schicksalsschlägen in Baden bei Wien.

Sein schriftstellerisches Oeuvre blieb klein, aber eindrucksvoll. Ausgerechnet die spätere Nobelpreis-Trägerin Elfriede Jelinek holte „Die Wolfshaut“ in den 70er Jahren zurück ins literarirsche Empfinden ihres Heimatlands. Bezeichnenderweise hatt der Roman ursprünglich in Österreich nicht einmal einen Verleger gefunden.

Wir sind im Jahr 1952. Der Matrose Johann Unfreund kehrt nach vielen Jahren zurück in sein österreichisches Heimatdorf, mit dem passenden Namen Schweigen. Er will wissen, was passiert ist in den Jahren seiner Absenz, in der NS-Zeit und danach.

Kurz darauf gibt es in Schweigen einige Todesfälle. Die Dorfbewohner vermuten, dass entsprechend einer alten Legende ein Wolf dahinter steckt. Dabei geht es, wie der fremd gewordene Unfreund herauszufinden sucht, um etwas anderes: Um ein Kriegsverbrechen, kollektiv verübt von den Bewohnern des Dorfes.

Kraftvoll in der Sprache und anklagend in der Aussage beleuchtet Lebert ein Geschehen, das sich noch heute in Österreich so abspielen könnte. Denn in unserem Nachbarland wurde die NS-Zeit bis heute nicht annähernd so aufgearbeitet wie in Deutschland.

In fast jeder Kleinstadt haben Fachleute oder interessierte Laien (wie in meiner Heimatstadt Wolfratshausen das Dritte Reich und die Beteiligung der Bürger aufgearbeitet. Österreich ist noch lange nicht so weit. Gerne wird der Nationalsozialismus dort als deutsches Phänomen beiseite geschoben. Hans Leberts Buch ist ein eindrucksvolles, bald 50 Jahre altes Zeugnis, wie falsch diese Einschätzung doch ist.

2004 produzierte der Österreichische Rundfunk „Die Wolfshaut“ als Hörspiel.

Lesen!

Bewertung: *****

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