Gay Talese „Ehre deinen Vater“, 532 Seiten, 18,50 €, Rogner & Bernhard (erhältlich über www.zweitausendeins.de), ISBN: 978-3807710426;
Seit den „Sopranos“ weiß jeder, dass es bei der Mafia auch nicht anders zugeht als bei uns normalen Spießbürgern. Was die amerikanische Fernsehserie in unsere Wohnzimmer brachte, das besorgte vor fast 40 Jahren, 1971, der amerikanische Star-Journalist Gay Talese mit „Ehre deinen Vater“.
Die Bonannos beherrschten in den 1960er Jahren die New Yorker Unterwelt. Die Familie war Anfang des vorigen Jahrhunderts aus dem sizilianischen Castelammare del Golfo in die USA eingewandert und dominierte nach blutigen Bandenkriegen seit den 1930er Jahren die „ehrenwerte Familie“.
Mit Glücksspiel und Kreditwucher machten Bonanno und seine Leute das erste große Geld, dann kam noch der Drogenhandel dazu. Die Bonannos weiteten ihre Geschäfte bis Kalifornien und Kanada aus. Das entstehende Machtvakuum führte zu erneuten Banden-Konflikten: dem Bananenkrieg.
Sie ist eine der zentralen Geschichten, die Talese erzählt. Aber der Journalist machte noch mehr, erreiste nach Sizilien, um die Ursprünge der Mafia-Familien kennenzulernen und zu verstehen. Aufgemacht ist „Ehre deinen Vater“ wie ein Roman, erzählt mit schriftstellerischen Mitteln. Und doch ist es purer Journalismus – jedes Detail Wahrheit, akribisch recherchiert.
„New Journalism“ nennt sich diese Richtung. Noch bekannter als Talese ist dessen Kollege Tom Wolfe, dessen „Fegefeuer der Eitelkeiten“ 1990 von Brian de Palma verfilmt wurde. Auch Stefan Aust, der vormalige Spiegel-Chefredakteur, könnte mit seinen Büchern über die Baader-Meinhof-Bande und Geheimagent Mauss dazugezählt werden.
Talese erzählt, er berichtet nicht. Sechs Jahre hatte er über die Bonannos recherchiert. Sein Ziel: „Ich möchte die fiktionale Strömung unter dem Strom der Wirklichkeit aufspüren.“ Er brach als Außenstehender die Omerta, das Schweigegebot der Mafia, und schrieb eine klassische Tragödie.
„Es scheint, als hätten die italienischen Einwanderer die antiken Dramen aus ihrer sizilianischen Heimat nach New York importiert“, schrieb das Magazin „Stern“. In den 70er Jahren gingen die alten Mafiastrukturen zugrunde, die „Paten“ ginngen in den Knast, neue Familien kamen auf.
Kuriosität am Rande: Mit seinen Bucherlösen finanzierte Talese den Bonanno-Kindern zeitweise die Ausbildung.
Lesenswert, auch heute noch (und nicht nur für Fans von „Die Sopranos“ oder des zeitgleich entstandenen „Der Pate“).
Bewertung: *****
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Klingt interessant. Würde ich gerne lesen. Ist es ein neues Buch?
Schade, dass es nur beim oben genannten Verlag erhältlich ist.
Gruss Adrian
Das Buch ist brandneu und lässt sich bei Amazon/buecher.de etc. und über die Buchhandlung als Verlagsbestellung (Rogner & Bernhard) ordern.
Schöne Grüße
Joachim
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