J. M. Coetzee „Tagebuch eines schlimmen Jahres“, 288 Seiten, 19,90 €, S. Fischer, ISBN: 978-3100108340;

Vielstimmigkeit bekommt eine neue Bedeutung. Bei dem neuen Roman des Nobelpreisträgers Coetzee muss der Leser ernst nachdenken, wie er das Werk bewältigt. Denn erst zwei, dann drei Erzählstränge laufen buchstäblich parallel, optisch getrennt durch eine Querlinie.

John Marshall Coetzee, 68, vielfach preisgekrönt, gilt bei Kritikern immer wieder als Kafka Südafrikas. Der frühere Hochschullehrer lebte in England und den USA, kehrte nach Südafrika zurück und übersiedelte 2002 nach Australien.

Warum das hier so ausführlich dargestellt wird? Ganz einfach, dieser Lebenslauf spiegelt sich in dem großen Alterswerk Coetzees wieder. Die Hauptfigur ist J.C. aus Südafrika, jetzt in Australien lebend. Er soll für einen deutschen Verlag Essays schreiben über den Zustand der Welt – bittere, kleine Stücke, die uns der Nobelpreisträger hier vorlegt.

Dieser Politprosa bildet sozusagen die Oberstimme, Einblicke in sein Inneres gewährt uns der Autor mit der mittleren Stimme. Aus der Alltags-Perspektive des Ich-Erzählers werden die Brüche deutlich, auch eine Reflexion seiner schriftstellerischen Äußerungen.

Und als Korrektiv gibt es noch Ebene 3, die von Anya, Mitarbeiterin und Muse des Schriftstellers. Sie tippt dessen Texte in den Computer, nicht ohne ihre Meinung dazu abzugeben. Und deren Freund Alan, ein Anlagespezialist, will J.C. auch noch abzocken.

All diese Handlungsstränge werden buchstäblich untereinander erzählt. Manchmal liest der Leser mehrere Seiten durchgehend und blättert dann zurück, manchmal sucht der Leser in der Hoffnung auf Parallelität sein Heil – und findet es nicht. Dafür werden Monologe zum Dialog und bekommen einen eigenartigen Rhythmus.

Ein grandioses Buch für Literaturfreunde, die bereit sind, sich auf Experimente einzulassen.

Bewertung: *****

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Lauter Lesenswertes

Drei Ebenen eines missliebigen Lebens

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