Es geht um Dohlen, jene mittelgroßen Rabenvögel … Nein, Unsinn, wie immer bei Marc Beyer geht es um Menschen und um Geschichte. Menschen, die Geschichte machen und die Geschichte, ohne die sie nicht wären wie sie sind. „Kaltenburg“ ist ein Psychogramm der frühen DDR-Zeit, der 50er Jahre, nachdem Stalin starb, Entspannung beginnen sollte und Antisemitismus sich wieder breitmachte im jungen Arbeiter- und Bauern-Staat.
Marcel Beyer, gebürtiger Württemberger, mit 42 im besten Schriftsteller-Alter, legt Jahr für Jahr aufs neue furiose Romane vor. Für „Kaltenburg“ erhielt er gerade den Joseph-Breitbach-Preis zuerkannt, aber auch der Heinrich-Böll-, Uwe-Johnson- und der Friedrich-Hölderlin-Preis, um nur ein paar zu nennen, schmücken ihn schon.
„Kaltenburg“ ist ein faszinierendes Spiel mit der Wirklichkeit. Jener Ludwig Kaltenburg ist ganz eng an den hoch verdienten, 1989 verstorbenen Verhaltensforscher Konrad Lorenz angelehnt. Die wesentlichen Biografie-Daten stimmen überein, anderes wiederum nicht. So ging der wahre Lorenz nach dem Ende der NS-Zeit (als er in der NSDAP Karriere gemacht hatte) zurück nach Wien, Kaltenburg indes nach Dresden.
Erzählt wird der zeitgeschichtliche Roman – oder ist es ein „Deutschlandroman“, wie manche Zeitungen schreiben – aus der Perspektive des Waisenkinds und Studenten Hermann Funk, der Kaltenburg, seinen Professor, auch zum Ersatzvater bestimmt. Er wird Ornithologe, traumatisiert von der Dresdner Bombennacht, als brennende Vögel vom Himmel fielen. Darum also die Dohlen …
„Kaltenburg“ ist ein Buch über Verdrängung, wie sie bis heute nicht unüblich ist, in Generationennähe zum Unaussprechlichen der Nazizeit. Es ist ein ambitioniertes Projekt, sehr kenntnisrreich, aber manchmal seltsam steril und konstruiert. Ein wenig fehlt leider bei so viel Erleben das Leben.
Bewertung: ****
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